ibrary of Brinretan Universiti.
The Cigkty Fight Fibrarn of Eronomirs.
WEE
JAHRBÜCHER FÜR NATIONALÖKONOMIE UND STATISTIK
GEGRÜNDET VON BRUNO HILDEBRAND
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. J. CONRAD
PROF. IN HALLE A. 8.
IN VERBINDUNG MIT Dr. EDG. LOENING Dr. W. LEXIS t Dr. H. WAENTIG
PROF, IN HALLE A. S. PROF. IN GÖTTINGEN PROF. IN HALLE A. 8. 103. BAND II. FOLGE 48. BAND 1914. Il
JENA VERLAG VON GUSTAV FISCHER 1914
Alle Rechte vorbehalten.
Inhalt des 48. Bandes, dritte Folge. (103. Bd.)
I. Abhandlungen.
Blank, Die Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmerver- bänden. 8. 305.
Friedmann, Arthur, Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 8. 433,
Derselbe, Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 8. 1.
Schönheyder, K., Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirt- schaft. S. 577.
Stolzmann, Rudolf, Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorga- nischen Methode. S. 145.
Tiburtius, Joachim, Der Begriff des Bedürfnisses. Seine psychologische Grund- lage und seine Bedeutung für die Wirtschaftswissenschaft. S. 721.
II. Nationalökonomische Gesetzgebung.
Bendix, L. u. Jastrow, J., Die amerikanische Bankreform. S. 599.
Gesetzgebung, Die wirtschaftliche, Preußens im Jahre 1913. S. 52.
Stöwesand, Walther, Die wirtschaftliche Gesetzgebung der kleineren deutschen Bundesstaaten im Jahre 1913. 8. 324.
— —, Die wirtschaftliche Gesetzgebung Oesterreichs. S. 464.
III. Miszellen.
Berger, Karl, Die Muttersprache der ausländischen weißen Bevölkerung der Ver- einigten Staaten von Nordamerika. S. 483.
Dietrich, Rud., Zur Ordnung unserer Wissenschaft. S. 390.
Földes, Béla, Nachtrag zu der Abhandlung: Bemerkungen zu dem Problem Lorenz Stein—Karl Marx (3. Folge Bd. 47 S. 289). S. 820.
Hoffmann, Walter, Die geschichtliche Entwicklung des Depositenkassenwesens in Deutschland. S. 802.
Jaeckel, Reinhold, Die Geburten-, Heirats-, Sterbe- und Geburtenüberschußziffern in den hauptsächlichsten Kulturstaaten der Welt 1801—1911. 8. 86.
Kesten-Conrad, Else, Jahresbericht des Kgl. Württembergischen Landeswohnungs- inspektors für die Jahre 1911 und 1912. 8. 817.
Kobatsch, Rud., Der Streit um die Weltwirtschaftsiehre. S. 486.
Koch, P., Zur Gewinnbeteiligung der Arbeiter. S. 469.
Köppe, H., Die Tarifverträge im Deutschen Reiche am Ende des Jahres 1912. 8. 382,
Lehmann, Artur, Die Hauptwerte und ihre Verwendung in der Preisstatistik. S. 495.
Müller, Ernst, Ueber die Bevölkerungsdichtigkeit im Königreich Bayern. 8. 791.
— —, Einige wesentliche Ergebnisse der ersten Veranlagung zur bayerischen all-
‚gemeinen Einkommensteuer. S. 506.
‚Müller, Johannes, Der Personenverkehr in Berlin und Paris. S. 397.
Plitzner, Bemerkungen zu der Streitfrage: Ist die Statistik eine Methode oder eine Wissenschaft? S. 640.
Schwarzwald, H., Das chinesische Geldwesen und seine Neugestaltung. 8. 60.
Tan, A., Die statistische Beobachtung des Wohnungsbedarfs der Eheschließenden.
Strehlow, Die Grundsteuer nach dem gemeinen Wert. S. 501.
— —, Die Industriebezirke und Industriegemeinden. $S. 809.
Syru P, Friedrich, Die Arbeitszeit in der Großeisenindustrie. Bearbeitet nach den Jahresberichten der Königl. Preuß. Regierungs- und Gewerberäte für 1913. S. 193.
Uhl, K., Die Bedeutung und bisherigen Erfolge der deutschen Ueberlandzentralen. 8. 652.
Viehstandes, Die Entwicklung des — während der letzten Dezennien in den hauptsäch- Debaten Staaten Europas. S. 649.
IV Inhalt,
Waentig, Heinr., Die japanische Statistik als wissenschaftliches Quellenmaterial. S. 244.
Derselbe, Erklärung. 8. 261.
v. Wiese, L., Verhandlungen des Zweiten Deutschen Soziologentages (vom 20.—22. Ok- tober 1912 in Berlin). 8. 373.
Winkelmann, Käte, Wohnungsfürsorge in England. 8. 344.
Zusammenfassende Uebersicht der (5) Zweimonatsbilanzen und der Jahresschlußbilanzen inländischer Kreditbanken nebst Deckungsziffern für das Jahr 1913. 8. 225.
IV. Literatur. a) Berichte und Sammelreferate.
Bächtold, H., Der norddeutsche Handel im 12. und beginnenden 13. Jahrhundert. (Karl Heldmann.) 8. 667.
Elster, Alexander, Kinoliteratur (Sammelreferat). 8. 821.
Helander, Sven, Von der Diskontpolitik zur Herrschaft über den Geldmarkt $S. 673.
Hoetzsch, Otto, Rußland. Eine Einführung auf Grund seiner Geschichte von 1904 —1913. (Th. H. Pantenius.) S. 511.
Klein, Franz, Justizminister a. D., Die wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen des Rechtes der Erwerbsgesellschaften. (Paul Rehme.) S. 91.
Verhandlungen des ständigen Arbeitsbeirates über den Entwurf eines Gesetzes betr. die Regelung der Arbeitsverhältnisse in der Heimarbeit. (P. Arndt.) 8. 262.
b) Rezensierte Schriften.
Acta Borussica. Denkmäler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert. Hrsg. von der Kgl. Akademie der Wissenschaften. (K. Heldmann.) 8. 686.
1) Die Behördenorganisation und die allgemeine Staatsverwaltung Preußens im 18. Jahr- hundert. V. Bd. 2. Hälfte: Akten vom 4. Januar 1736 bis 31. Mai 1740, bearb. von G. Schmoller und W. Stolze.
2) Die einzelnen Gebiete der Verwaltung. Getreidehandelspolitik. III. Bd. Die Ge- treidehandelspolitik und Kriegsmagazinverwaltung Preußens 1740—1756. Darstellung und Getreidepreisstatistik von W. Naudé und A. Skalweit. Akten bearb. von G. Schmoller, W. Naud& und A. Skalweit.
3) — — — Münzwesen. IL.—IV. Bd. Das Preußische Münzwesen im 18. Jahrhundert. Münzgeschichtlicher Teil. Darstellung von Fr. Frhr. v. Schrötter. Akten bearb. von G. Schmoller und Fr. Frhr. v. Schrötter.
4) — — — Handels-, Zoll- und Akzisepolitik. I. Bd. Die Handels-, Zoll- und Ak- zisepolitik Brandenburg-Preußens bis 1713. Darstellung von H. Rachel. Mit einer Karte des mittleren Staatsgebiets.
Ansiedlung, die, von Europäern in den Tropen. 2. Bd. Mit Beiträgen von Prof. Dr. Karl Sapper, Prof. Dr. van Blom und Dr. J. A. Nederburgh: Mittelamerika, Kleine Antillen, Niederländisch-West- und Ostindien. (Golf.) 8. 101.
Arnold, Ernst Günther, Untersuchungen über die Diskontierung von Buchforde- rungen und ihre volkswirtschaftl. Bedeutung in Deutschland. (Hans Crüger.) S. 699.
Bauer, Friedrich, Das Wollgewerbe von Eßlingen bis zum Ende des 17. Jahrhun- derts. (Abhandl. zur mittleren und neueren Geschichte) (Gustav Aubin.) 8. 530.
Bernhard, E., Die Vergebung der öffentlichen Arbeiten in Deutschland im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. (Schriften der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Heft 1.) (E. Schwiedland.) S. 123.
Boerner, A., Kölner Tabakhandel und Tabakgewerbe. 1628—1910. (Veröffentlichungen des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs in Köln, Bd. 2.) (Kuske.) S. 692.
Borchard, Kurt, Die Wirkung der Getreidezölle auf die Getreidepreise; mit einem Anhang: Die Gregory-Kingsche Regel. (Leonhard.) 8. 407.
Bücher, Karl, Die Berufe der Stadt Frankfurt a. M. im Mittelalter. (Abhandlungen der philologisch-historischen Klasse der Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissen- schaften. 30. Bd.) (Gustav Aubin.) BR 689.
Buchforderungseskomptes, DieKosten des—. Hrsg. von der Evidenzzentrale für den Eskompte offener Buchforderungen in Wien. (Hans Crüger.) 8. 701.
Buchforderungseskomptes, Zur Kritik des —. Ein Vortrag, gehalten im Wiener Kaufmännischen Verein am 21. April 1914 von Dr. Max Sokal, Sekretär der Evidenzzentrale für den Eskompte offener Buchforderungen in Wien. (Hans Crüger.) 8. 701.
Inhalt, v
Cahn, Julius, Münz- und Geldgeschichte der im Großherzogtum Baden vereinigten Gebiete. Herausgeg. von der Badischen Historischen Kommission. I. Teil: Münz- und Geldgeschichte von Konstanz und des Bodenseegebietes im Mittelalter bis zum Reichsmünzgesetz von 1559. Mit 10 Tafeln und 1 Karte. (Karl Bräuer.) 8.115.
Carver, Thomas-Nixon, La répartition des richesses. Traduit par Roger Picard. Bibliothèque internationale d’&conomie politique. (R. Liefmann.) 8. 682.
Conrad, J., Grundriß zum Studium der politischen Oekonomie. Forts. des 4. Teils: Gewerbestatistik. Von A. Hesse. 2. Aufl. (A. Hesse.) 8. 525.
Corn&lissen, Christian, Théorie de la valeur avec une röfutation des théories de Rodbertus, Karl Marx, Stanley Jevons et Böhm-Bawerk. (Otto Conrad.) 8. 95.
Denkschrift zu dem technischen Entwurf einer Main-Donau-Wasserstraße mit Anschluß der Städte München und Augsburg, bearbeitet von Theodor Gebhardt, verlegt von dem Verein f. Hebung d. Fluß- u. Kanalschiffahrt in Bayern. (Paul Ritter.) S. 412.
Dewavrin und Lecarpentier, La Protection légale des travailleurs aux Etats-Unis avec exposé comparatif de la Législation française. (H. Köppe.) S. 286.
Dittmer, Hans, Depositenbanken eines Agrarlandes. Eine vergleichende Untersuchung der Banken Mecklenburgs. (Archiv für exakte Wirtschaftsforschung, 10. Heft.) (H. Hilbert.) S. 415.
Dorno, Friedrich, Der Fläming und die Herrschaft Wiesenburg. Agrar-historische Studien aus den nördlichen Aemtern des sächsischen Kurkreises. (Schmollers For- schungen) (Gustav Aubin.) 8. 531.
Eickemeyer, W., Zur Frage der zweiten Hypothek beim privaten großstädtischen Wohnhausbau und -besitz in Deutschland. Tübinger Staatswissenschaftliche Abhand- lungen. (H. Meltzer.) 8. 702.
Elewyck, Ernest van, La Banque Nationale de Belgique. Les Théories et les Faits. 2 Teile. (Sven Helander.) S. 111.
Ewald, Walther, Soziale Medizin. Ein Lehrbuch für Aerzte, Studierende, Medizinal- und Verwaltungsbeamte, Sozialpolitiker, Behörden und Kommunen. (Alexander Elster.) S. 295.
Festgabe zum 60. Geburtstage des Herrn Geheimen Justizrats Prof. Dr. Rießer. (J.C.) S. 95.
Fischer, Alfons, Ein sozialhygienischer Gesetzentwurf aus dem Jahre 1800, ein Vorbild für die Gegenwart. (Alexander Elster.) S. 849.
Forberger (Pastor), Joh., Moralstatistik Süddeutschlands. (Ernst Müller.) S. 572.
Frankfurter Amts- und Zunfturkunden bis zum Jahre 1612. Hrsg. von Karl Bücher und Benno Schmidt. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission der Stadt Frankfurt a. M.). (Gustav Aubin.) S. 689.
gek Dr. Käte, Die Heimarbeit, das jüngste Problem des Arbeitsschutzes. (H. Kö ppe.)
. 557.
Gini, G., Variabilità e MutabilitA. Contributo allo studio delle distribuzioni e delle relazioni statistiche. Fasc.-I. (W. Lexis ł) S. 403.
YET Theodore W., The government of american trade unions. (H. Köppe.)
. 419.
Grass], Der Geburtenrückgang in Deutschland, seine Ursachen und seine Bekäm- pfung. (Sammlung Kösel, Bändchen 71.) (Ernst Müller.) 8. 535.
Groß, Lothar, Beiträge zur städtischen Vermögensstatistik des 14. und 15. Jahr- hunderts in Oesterreich (Forschungen zur inneren Geschichte Oesterreichs, hrsg. von A. Dopsch, Heft 10). (Gustav Aubin.) 8. 99.
Haaß, Friedrich, Weltpostverein und Einheitsporto (Welt-Pennyporto). (Erwin Günther.) S. 109.
Halbwachs, La classe ouvrière et les niveaux de vie. Recherches sur la hiérarchie des besoins dans les sociétés industrielles contemporaines. (H. Köppe.) S. 562.
Haney, L. H., Business Organization and Combination. (R. Liefmann.) S. 521.
Haret, Sp. C., Mécanique sociale. (W. Lexis +) S. 267.
Heber, E. A., Japanische Industriearbeit. Eine wirtschafts-wissenschaftliche und kul- turhistorische Studie. (Ernst Grünfeld.) S. 409.
Helfferich, Karl, Deutschlands Wohlstand 1888—1913. (J. Conrad.) S. 532.
Hemmerle, E., Die Rheinländer und die preußische Verfassungsfrage auf dem ersten Vereinigten Landtag (1847). (Studien zur rheinischen Geschichte, herausg. von Dr. A. Ahn, 2. Heft.) (F. Hartung.) S. 130.
Hennig, Richard, Die Hauptwege des Weltverkehrs. (Friedr. Hoffmann.) S. 694.
NI Inhalt,
Hersch, L., Le Juif errant d’aujourd’hui. Études sur l’&migration des Isra&lites de l’Europe orientale aux États-Unis de l’Am&rique du Nord. (Mombert.) S. 104. Hirsch, Julius, Die Filialbetriebe im Detailhandel unter hauptsächlicher Berück- sichtigung der kapitalistischen Massenfilialbetriebe in Deutschland und Belgien. (Kölner Studien zum Staats- und Wirtschaftsleben, Heft 1.) (Marcard.) S. 276.
Hirsch, Max, Fruchtabtreibung und Präventivverkehr im Zusammenhang mit dem Geburtenrückgang. (Henr. Fürth.) S. 533.
Jacob, Eduard, Volkswirtschaftliche Theorie der Genossenschaften. (Tübinger Staats- wissenschaftliche Abhandlungen, hrsg. von Carl Johannes Fuchs in Verbindung mit Ludwig Stephinger, Neue Folge Heft 1.) (Hans Schönitz.) S. 125.
Jacobs, Paul, Die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel. (Walter Pinner.) 8. 844.
Jahrbuch für Verkehrswissenschaften. Hrsg. von F. Peitgen. Schriftleitung Adolf Goetz, Hamburg. Schleswig, J. Ibbeken. (Paul Ritter.) S. 548.
Jenny, J., Der Teilbau, nebst der Monographie eines Teilbaugroßbetriebes in Rußland aus der Zeit von 1891—1910. (Leonhard.) S. 538.
Industrie, Die deutsche —. Festgabe zum 25-jährigen Regierungsjubiläum S. Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm II. Dargebracht von Industriellen Deutschlands 1913. (M. Rusch.) S. 545.
Käding, Emil, Beiträge zur preußischen Finanzpolitik in den Rheinlanden während der Jahre 1815—40. (Studien zur rheinischen Geschichte. 8. Heft.) (Gustav Aubin.) S. 282.
Kaiser, Carl, Die Wirkungen des Handwerkergesetzes in Württemberg und Baden. (Tübinger Staatswissenschaftliche Abhandlungen, hrsg. von Carl Johannes Fuchs, 4. Heft) (Erhard Schmidt.) S. 543.
Kleemann, Kurt, Die Sozialpolitik der Reichs- Post- und Telegraphenverwaltung gegenüber ihren Beamten, Unterbeamten und Arbeitern. (Abhandlungen des Staats- wissenschaftlichen Seminars zu Jena, hrsg. von Prof. Dr. Pierstorff, Bd. 14, Heft 1.) (Erwin Günther.) S. 844.
Knauth, Oswald Whitman, The policy of the United States towards Industrial Monopoly. Studies in history, economies and public law edited by the faculty of political science of Columbia University. (Robert Liefmann.) S. 539.
Köhler, Walter, Die deutsche Nähmaschinenindustrie. (Zitzlaff.) S. 174.
Krakauer, V., Ueber den gerechten Preis für Eisenbahnleistungen. (Ernst Müller.) 8. 279.
Kuczynski, R., Arbeitslohn und Arbeitszeit in Europa und Amerika 1870—1901. (H. Herkner.) S. 708.
Lachmann, Karl, Die Unfallverhütung in der Baumwollspinnerei, ihre Entwicklung, Wirtschaftlichkeit und Erfolge. (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der badischen Hochschulen. Neue Folge Heft 23.) (Schultze.) 8. 123.
Lederle, K., Die Lebensversicherung, unter besonderer Berücksichtigung ihrer recht- lichen Beziehungen zum ehelichen Güterrecht, Erb- und Konkursrecht, sowie ihrer Besteuerung. (H. Meltzer.) S. 284.
de Leener, G., La politique des transports en Belgique. (A. e, der Leyen.) 8.549.
Madelung, Ernst, Die Entwicklung der deutschen Portland-Zement-Industrie von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, mit besonderer Berücksichtigung der Kartelle. (Richard Passow.) S. 546.
Mamroth, Karl, Gewerblicher Konstitutionalismus. Die Arbeitstarifverträge in ihrer volkswirtschaftlichen und sozialen Bedeutung. (H. Köppe.) S. 704.
Mann, Fritz Karl, Der Marschall Vauban und die Volkswirtschaftslehre des Ab- solutismus. Eine Kritik des Merkantilsystems. (Axel Nielsen.) S. 684.
Marschall von Bieberstein, Freih., Landrat des Unterwesterwaldkreises, Die Spar- pflicht für Minderjährige und die Wohnungsfrage. (Dr. Else Kesten-Conrad.) S. 565.
Meyer, Paul, Die Notstandsarbeiten und ihre Probleme. (J. Conrad.) 8. 289.
Michels, Robert, Probleme der Sozialphilosophie. („Wissenschaft und Hypothese“, Bd. 18.) (Karl Pribram.) 8. 268.
Misselwitz, Alfred, Die Entwicklung des Gewerbes in Halle a. S. während des 19. Jahrhunderts. (68. Bd. der „Sammlung nationalökonomischer und statistischer Abhandlungen des Staatswissenschaftlichen Seminars zu Halle a. S., hrsg. von Prof. Dr. Joh. Conrad.) (Kurt Krüger.) S. 106.
Inhalt. VU
Mitteilungen des Statistischen Landesamtes des Königreiches Böhmen, Bd. XVIII, Heft 2: Anbau- und Erntestatistik, sowie Statistik der wichtigsten Zweige der land- wirtschaftlichen Industrie im Königreiche Böhmen für die Betriebsperiode 1911/12. Erster Teil: Text. Deutsche Ausgabe, (Thieme.) S. 293.
Moheau, Recherches et Considerations sur la Population de la France 1778. Col- lection des Economistes et des R&formateurs sociaux de la France. Publié avec in- troduction et table analytique par René Gonnard, Professeur d’histoire des doctrines économiques et d’économie politique à la Faculté de Droit de PUniversité de Lyon. (A. Günther.) S. 516.
Moses, Robert, The Civil Service of Great Britain. Studies in History, Economics and Public Law, edited by the Faculty of Political Science of Columbia University. (Köllreuter.) S. 567.
Norton, Thomas H., Die chemische Industrie in Belgien, Holland, Norwegen und Schweden. Ins Deutsche übertragen und ergänzt von H. Großmann. (Richard Passow.) 8. 107.
Oftergeld, Wilhelm, Dr. iur. et phil., Grundlagen und Ursachen der industriellen Entwicklung Ungarns.. Nebst einem Anhange über die wirtschaftswissenschaftliche Literatur Ungarns. Probleme des Instituts für Seeverkehr und Weltwirtschaft an der Univ. Kiel, hrsg. von Prof. Dr. Bernh. Harms. Bd. 17. (B. F.) S. 838.
Oesterreichische Weistümer, 10. Bd., Steirische Taidinge (Nachträge), Im Auftrage der Kaiser), Akademie der Wissenschaften, hrsg. von Anton Mell und Eugen Frei- herrn v. Müller. (Hermann Aubin.) S. 100.
Osborne, Algernon Ashburner, Speculation on the New York Stoek Exchange, September 1904—March 1907. (v. Reibnitz.) S. 557.
Perlick, A., Die Luftstickstoffindustrie in ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung. (P. Holdefleiß.) 8. 542. d
Perlmann, Louis, Die Bewegung der Weizenpreise und ihre Ursachen. (J.C.) S. 274.
Pöller, Richard, Die Gefahren des Bergbaues und die Grubenkontrolle im Ruhr- revier., (Schrader.) S. 271.
Praxis, Die der kommunalen und sozialen Verwaltung. II. Kursus: Die neuen Auf- gaben der Sozialversicherung in der Praxis. (J. Conrad.) S. 846.
Rechtsfragen des Arbeitstarifvertrags: 1. Haftung. — Abdingbarkeit, von Prof. Dr. W. Zimmermann. 2. Brauchen wir ein Arbeitstarifgesetz? von Rechtsanwalt Dr. Hugo Sinzheimer. (Heft 42/43 und Heft 44 der Schriften der Gesellschaft für soziale Re- form.) (H. Köppe.) S. 120.
Reinhardt, E., Die Kupferversorgung Deutschlands und die Entwicklung der deut- schen Kupferbörsen. .(Schrader.) S. 537.
Both, Paul, Die Neuen Zeitungen in Deutschland im 15. und 16. Jahrhundert. (Preisschriften der Fürstlich Jablonowskischen Gesellschaft zu Leipzig, Bd. 43.) (Alexander Elster.) S. 405.
Salin, Edgar, Die wirtschaftliche Entwicklung von Alaska (und Yukon Territory); ein Beitrag zur Geschichte und Theorie der Konzentrationsbewegung. Erg.-Heft XII zum Arch. f. Sozialwissenschaft u. Sozialpolitik. (Robert Liefmann.) S. 832.
an Hermann, Das Eisenbahnwesen in der asiatischen Türkei. (Paul Ritter.) . 546.
Schmidt, O., Die Reichseinnahmen Ruprechts von der Pfalz. (Leipziger Historische Abhandlungen, hrsg. von E. Brandenburg, G. Seeliger, U. Wilcken, Heft 30.) (F. Hartung.) S. 533.
Schneider, Oswald, Bismarcks Finanz- und Wirtschaftspolitik. (Staats- und sozial- wissenschaftliche Forschungen, hrsg. von Schmoller und Sering, Heft 166.) (Georg Brodnitz.) S. 269.
Schrameier, W., Aus Kiautschous Verwaltung. Die Land-, Steuer- und Zollpolitik des Kiautschougebietes. (Ernst Grünfeld.) S. 537.
Simkhovitch, Vladimir G., Marxism versus socialism. (Ernst Grünfeld.) S. 681.
— —, Marxismus gegen Sozialismus. Uebers. von Th. Jappe. (Ernst Grün- feld.) 8. 681.
Sowers, Don C., Professor of Municipalities, The financial history of New York State from 1789 to 1912. (W. D. Preyer.) S. 551.
Statistisches Handbuch des Königreiches Böhmen; II. Ausgabe (Deutsche Ausgabe). Zu- sammengest. vom Statist. Landesbureau des Königreiches Böhmen S. 293.
VIII Inhalt,
Statistisches Jahrbuch für das Königreich Bayern. 1913, Jahrg. 12. (J. Conrad.) 8. 572.
Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich. Jahrg. 34, 1913. (J. Conrad.) S. 848.
Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat. 1913, Bd. 11. (J. Conrad.) 8. 425.
Statistische Rückblicke aus Oesterreich. (Ernst Grünfeld.) S. 134.
Straus, Walter, Die deutschen Ueberlandzentralen und ihre wirtschaftliche Bedeutung als Kraftquelle für den Kleinbetrieb in Landwirtschaft und Gewerbe. (K. Uhl.) S. 544.
Timpe, Die Organisation des Magdeburger Zuckerhandels. S. 842.
Trautwein, Carl, Ueber Ferdinand Lassalle und sein Verhältnis zur Fichteschen Sozialphilosophie. (Karl Pribram.) S. 524.
Uhlich, Theodor, Die Vorgeschichte des Sächsischen Eisenbahnwesens. (Abhandl, aus dem volkswirtschaftlichen Seminar der Technischen Hochschule zu Dresden. 6. Heft.) (Paul Ritter.) S. 280.
Ungarische Statistische Mitteilungen, Bd. 31: Entwicklung des Volksunterrichtswesens der Länder der ungarischen heiligen Krone. — Bd. 41: Viehbestand in den Ländern der ungarischen heiligen Krone. Nach dem Stand vom 28. Februar 1911. — Bd. 45: Die Schiffahrt und Warenbewegung im Hafen von Fiume. (J. Conrad.) 8. 714.
Vandervelde, Emil, Neutrale und sozialistische Genossenschaftsbewegung. Uebersetzt
: von H. Gernsheimer-Hertz. (Ernst Grünfeld.) 8. 711.
Versicherungsbibliothek, hrsg. von Prof. Dr. Alfred Manes, Berlin. 1. Band: Versiche- rungsbuchführung, von Mathematiker Joseph Koburger; 2. Band: Die Feuerversiche- rung, von Justizrat Dr. Karl Domizlaff, Direktor der Concordia, Hannoverschen Feuerversicherungsgesellschaft A.-G. in Hannover. (Leuckfeld.) S. 553.
Wagemann, Arnold, Wesen und Technik der heutigen Wirtschaftskämpfe. (K. Marcard t) S. 828.
Wassermann, L. u. R., Das Branntweinsteuergesetz vom 15. Juli 1909, in der Fas- sung des Gesetzes vom 14. Juni 1912. (C. Briefs.) S. 712.
Weber, M. gegen Sander, P., Erklärung der rechts- und staatsw. Fakultät der deutschen Universität Prag. S. 144.
Weissbarth, Alfr., Das Dekaturgewerbe und seine Kartellierungsbestrebungen. Zur Frage der Monopolfähigkeit von Industrien. (Rob. Liefmann.) S. 836.
Wohlgemut, Marta, Die Bäuerin in zwei badischen Gemeinden. (Volkswirtschaftl. Abhandl. d. badischen Hochschulen, Neue Folge Heft 20.) (Auguste Lange.) 8. 103.
Wölfel, F., Der Handlungsreisende. Eine wirtschaftsgeschichtliche Studie. (Ernst Müller.) S. 550.
Wright, Chester Whitney Ph. D., Wool growing and the Tariff, a study in the economic history of the United States. (A. Golf.) S. 527.
Zürn, Walther, Die deutsche Zündholzindustrie. (Zeitschr. f. d. ges. Staatswissen- schaft, Erg.-Heft 47.) (Richard Passow.) S. 411.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. Ss. 95. 267. 403. 516. 681. 828.
Die periodische Presse des Auslandes. 8S. 135. 296. 427. 573. 716. 852. Die periodische Presse Deutschlands. Ss. 138. 299. 429. 574. 717. 853.
Volkswirtschaftliche Chronik. 1814. Mai: S. 325. Juni: 8. 397. Juli: 8. 477. August: S. 545. September: S. 609. Oktober: S. 687.
ArthurFriedmann, Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 1
I
Die Wohlstandsentwicklung in Preussen von 1891—1911.
Von Dr. Arthur Friedmann.
Die Höhe des Volkseinkommens läßt sich einigermaßen nach den Ergebnissen der Einkommensteuerveranlagung beurteilen. Um je- doch eiu zutreffendes Bild von dem Wohlstande der Bevölkerung zu gewinnen, ist neben der Ermittlung des nominellen Einkommens die Berücksichtigung der jeweiligen Kaufkraft des Geldes erforder- lich. Wir werden daher bei der Untersuchung der Wohlstandsent- wicklung in Preußen von 1891—1911 zuerst die Zunahme des durchschnittlichen Nominaleinkommens feststellen, um dann auf Grund einer Betrachtung über die Aenderung des Geldwertes die Steigerung des Realeinkommens zu ermitteln. Es wird we- niger Gewicht darauf gelegt werden, die absolute Höhe des Durch- schnittseinkommens in den einzelnen Jahren zu bestimmen, als die relative Steigerung desselben festzustellen. ` Die Darstellung wird sich vorerst auf die Betrachtung des Durchschnittseinkommens be- schränken; erst am Schlusse werden wir untersuchen, welchen An- teil die höheren und niederen Einkommen an der allgemeinen Wohlstandssteigerung hatten. Neben dem privaten Einkommen sollen auch die staatlichen Leistungen in den beiden Vergleichsjahren ihrem Umfange nach betrachtet werden.
1. Die Steigerung des Nominaleinkommens.
Wir beginnen mit der Angabe des in den Jahren 1892 und 1912 veranlagten Einkommens. (Die Veranlagungsergebnisse dieser beiden Jahre haben im wesentlichen das Einkommen der Jahre 1891 und 1911 zur Grundlage.) Im Anschluß daran bringen wir eine Berech- nung des steuerfreien, sowie des nicht veranlagten steuerpflichtigen (hinterzogenen) Einkommens.
Das Einkommen der nichtsteuerpflichtigen Personen, besonders also der regierenden und vormals regierenden Fürsten, wird nicht berücksichtigt ; ebenso verzichten wir auf eine Darstellung der verhältnismäßig geringen Einkommens- teile, die der Besteuerung nicht unterliegen. (An Stelle der vom veranlagten Einkommen in Abzug gebrachten Beiträge für die Arbeiter- und Lebensver- sicherung werden später im Anschluß an die Aufwendungen der öffentlichen Körperschaften die Leistungen der Krankenkassen, Lebensversicherungsgesell- schaften ete. besonders behandelt.) t
Nach der Veranlagung des Jahres 1892 betrug das Ge- samteinkommen der Zensiten mit einem Einkommen zwischen 900 und 3000 M. 2912,0 Mill. M., das Gesamteinkommen der Zen- siten mit einem Einkommen von mehr als 3000 M. 2812,3 Mill. M.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIIN). 1
2 Arthur Friedmann,
Die entsprechenden Zahlen für das Jahr 1912 waren 8583,6 Mill. M. und 6656,2 Mill. M., zusammen 1892 5724,3 Mill. M., 1912 15 239,8 Mill. M.
Diesem Einkommen haben wir das Einkommen der steuer- befreiten Personen hinzuzurechnen und außerdem dasjenige Ein- kommen, um das die steuerermäßigten Personen zu niedrig ver- anlagt wurden.
1892 waren insgesamt 8411000 Personen!), 1912 8159000 Personen mit einem Einkommen von weniger als 900 M. steuerfrei.
In Sachsen, wo 1892 noch die Einkommen bis herunter zu 300 M., 1912 bis herunter zu 400 M. besteuert wurden, läßt sich eine ungefähre Berechnung des Durchschnittseinkommens der Personen mit weniger als 900 M. Einkommen durchführen. Das- selbe läßt sich 1892 auf 524 M., 1908 auf 568 M. schätzen (siehe besondere Berechnung Tabelle I und II). In Sachsen
Tabelle I.
Durchschnittseinkommen der Haushaltungsvorstände und Einzelsteuernden mit einem Einkommen von weniger als 900 M. in Sachsen 1892.
D b | d | e(eXa)
Zahl der Haushaltungs- N Einkommens- | vorstände bzw. Einzel- | Durchschnitts- Gesamt-
gruppe steuernden in Tausend | einkommen | einkommen in (geschätzt) in Mark 1000 M. bis 300 M. 235 19 764 300— 350 „ } 330 23 100 350— 400 „ 378 42412 400— 450 „, } 425 59 925 450— 500 „ 475 66 785 500— 550 „ } 520 46 800 550— 600 „ 575 42 608 600— 650 ,„ } 625 41 125 650— 700 „ 675 40 500 700— 750 „ } 725 42 050 750— 800 „ 775 44.640 800— 850 „ 825 40012 850— 900 „ 875 37 188 „900— 950 ,„ Summe 546 909 950— 1000 HI ) 1000—1050 ,, 1050—1100 , 1100—1150 , ) 1150—1200 , 1200—1250 ,
Zahl der Zensiten mit einem Einkommen unter 900 M. 1044 400. Durchschnittseinkommen 524 M.
1) Für das Jahr 1892 wurde nur die Summe der Einkommensteuerfreien einschließlich der Angehörigen gezählt. Die Zahl der einkommensteuerfreien Einzelsteuernden und Haushaltungsvorstände wurde hier nach dem Verhältnis der Zahl dieser Personen zur Gesamtzahl der einkommensteuerfreien Bevölkerung im Jahre 1895 errechnet.
2) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen auf das Jahr 1894.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 3
Tabelle II.
Durchschnittseinkommen der Haushaltungsvorstände und Einzelsteuernden mit einem Einkommen von weniger als 900 M. in Sachsen 1908.
a. b. | c. d. e.
Zahl der Haushaltungs- e Einkommens- | vorstände bzw. Einzel- | Durchschnitts-) Gesamt-
gruppe steuernden in Tausend | einkommen | einkommen in | (geschätzt) in Mark 1000 M. i . 61,8 255 15 759 e => mm 191,8®) > SCH 14 u erg » 0 3 32 300 400— 450 „ 250,9 130,0 425 55 250 450— 500 „ 120,9 475 57 428 500— 550 „, 118,2 525 62 055 550— 600 2 } 232,2 114,0 575 65 550 600— 650 „, iia 81,1 625 50 687 650— 700 , ’ 80,0 675 54 000 700— 750 „ } 156,8 79,0 725 57 275 750— 800 „ ? 77,2 775 59 830 800— 850 „ 79,0 825 57 750 850— 900 „, 202,2 68,0 875 59 500 Soe 950 „ SC Summe 642 234 950—1000 , ‚9 1000— 1050 A 186,9 62,5 1050—1100 ,„ 60,5 1I00—I150 , 55,0 1150—1200 , 147,6 49,6 1200—1250 » 43,0
Zahl der Zensiten mit einem Einkommen unter 900 M. 1 130 200. Durchschnittseinkommen 568,25 M.
werden aber mehr erwerbstätige Familienmitglieder als in Preußen gesondert gezählt, mitverdienende Ehefrauen werden einzeln ver- anlagt. Bei einer gleichen Berechnung des Einkommens wie in Preußen würde sich das Durchschnittseinkommen etwas höher stellen. Berücksichtigt man in Sachsen allein die Haushaltungsvorstände und rechnet ihrem Einkommen das Einkommen der Familienange- hörigen hinzu, so ergibt sich für die Einkommen unter 900 M. 1308 ein Durchschnittseinkommen von 617 M. (siehe Tabelle III). Hierbei ist nun wiederum das Einkommen sämtlicher erwerbs- tätiger Familienmitglieder, auch derjenigen, die in Preußen gesondert
teuert würden, dem Einkommen des Haushaltungsvorstandes hin- Zugezählt, außerdem ist das Einkommen der Haushaltungsvorstände auch ohne Hinzurechnung des Einkommens miterwerbender Familien- angehöriger sicher höher als das Einkommen alleinstehender Per- sonen, so daß das Durchschnittseinkommen der Zensiten mit weniger als 900 M. Einkommen in Sachsen 1908, bei einer gleichen Berech- nungsart wie in Preußen, 568 M. wahrscheinlich näher als 617 M.
eessen 3) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen, 38. Jahrg., 1910, 8.198. 1*
4 Arthur Friedmann,
Tabelle III. Berechnung des Durchschnittseinkommens der Haushaltungsvorstände mit einem Ein- kommen von weniger als 900 M. in Sachsen 1908 bei Hinzurechnung des Einkommens der Familienangehörigen zu dem Einkommen des Haushaltungsvorstandes.
d. e.
Zahl der Haushaltungs- | Durchschnitts-| Gesamt- vorstände in Tausend | einkommen | einkommen in
| geschätzt) in Mark 1000 M.
Einkommens- gruppe
bis 300 M. 300— 350 » 350— 400 , 400— 450 „ \ 450— 500 n 500— 550 „ } 550— 600 „ 600— 650 , 650— 700 nm 700— 750 nm } 750— 800 » 800— 850 ,„ 850— 900 „ 900— 950 „ Summe 184 792 950—1000 „, 34,4 1000—1050 „ 103,5 34,5 1050—1100 , 34,6 1100—II5O „, 33,0 1150—1200 ,, 94,8 31,6 1200—1250 , 30,2
Zahl der Hanshaltungsvorstände mit einem Einkommen unter 900 M. 299 400. Durchschnittseinkommen 617 M.
kommt. Wir schätzen danach für die sächsischen Einkommen unter 900 M. 1908 ein Durchschnittseinkommen von 583 M., für das Jahr 1892 bei einer entsprechenden Korrektur der oben angegebenen Zahl 538 M.
In Preußen ist das Durchschnittseinkommen der Gesamtbevölke- rung geringer als in Sachsen, 1892 26%, 1911 (gegen Preußen 1912) 230) (siehe weiter unten). Da das preußische Durchschnittsein- kommen des Jahres 1912 dem sächsischen Durchschnittseinkommen des Jahres 1892 etwas näher als dem Durchschnittseinkommen des Jahres 1911 kommt (S. 11), kann man annehmen, daß der Durch- schnittsbetrag der preußischen Einkommen unter 900 M. 1912 etwa die Mitte zwischen dem Durchschnittsbetrag der sächsischen Ein- kommen unter 900 M. in den Jahren 1892 (538 M.) und 1908 (583 M.) hält, also 561 M. beträgt. Wenn wir vom Jahre 1892 bis zum Jahre 1912 für Preußen eine entsprechende Steigerung dieses Durchschnittseinkommens wie in Sachsen von 1892—1908
4) Zeitschrift des Königlich Sächsischen Statistischen Landesamtes, 56. Jahr- gang, 2. Heft, S. 208, 1910.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 5
vermuten, so erhalten wir als Durchschnittsbetrag der Einkommen unter 900 M. in Preußen 1892 504 M.
Weiter ließe sich auf Grund der sächsischen Ergebnisse eine Schätzung der Durchschnittseinkommen unter 900 M. in Preußen noch auf folgende Weise durchführen: Das Verhältnis der Zensiten- zahl mit weniger als 900 M. Einkommen zu der Zensitenzahl mit einem Einkommen von 900—1050, 1050—1200 und 1200—1350 M. ist in Preußen 1892 etwas größer als in Sachsen (wobei in Sachsen eine größere Zahl Familienangehöriger als in Preußen gesondert ge- gezähit ist) und für Preußen 1912 nicht sehr viel geringer als für Sachsen 1908, so daß sich die Durchschnittshöhe der preußischen Einkommen unter 900 M. in den Jahren 1892 und 1912 nach einem Vergleich mit den entsprechenden sächsischen Ziffern für 1892 und 1908 ungefähr abschätzen läßt. Wir erhalten so für das Jahr 1892 520 M., für das Jahr 1912 585 M. (siehe die Berechnung Ta- belle IV). Da die frühere Schätzung die Werte 504 und 561 ergab, wollen wir den Durchschnittsbetrag der Einkommen unter 900 M. In Preußen für das Jahr 1892 zu 512 M., für das Jahr 1912 zu 373 M. veranschlagen. Unter dieser Voraussetzung erhalten wir als
samteinkommen der Personen mit einem Einkommen von weniger als 900 M.
1892 8381000 Personen mit einem durchschn. Eink. von 512 M. = 4291,1 Mill. M. 1912 8 159 000 D D nm nm nm » 5733M. = 4675,1 Mill. M.
Wir haben nun weiter das Einkommen derjenigen Personen zu
berücksichtigen, die bei einem Einkommen über 900 M. wegen ener größeren Zahl versorgungsberechtigter Angehöriger oder aus anderen Gründen steuerbefreit waren.
~ Die Zahl derer, die auf Grund einer größeren Kinderzahl nach x18 der damaligen Fassung des Gesetzes freigestellt waren, be- ' trug 1892 nur 154600. Es wurde damals nur um eine Stufe ermäßigt das Einkommen der steuerbefreiten Personen läßt sich also auf 95 M. pro Kopf veranschlagen, das Gesamteinkommen mithin auf 151 Mil.M.— Dagegen wurden 1912 auf Grund der veränderten Ge- sttzgebung von 1909 (nach § 19 des neuen Gesetzes) sehr viel mehr
trsonen freigestellt und zwar 608000. Da nach der Gesetzgebung von 1909 Steuerpflichtige mit mehr als 3000 M. Einkommen bei 2 versorgungsberechtigten Familienangehörigen um 1 Stufe, bei 3 ud 4 Angehörigen um 2 Stufen, bei 5 und 6 um 3 Stufen etc. tmäßigt wurden, so läßt sich auf Grund der Angaben, wie oft Per- ‘onen wegen 2, wegen 3 und 4 etc. Kinder ermäßigt oder frei- gestellt wurden (siehe Tabelle V) unter Berücksichtigung der Stärke der einzelnen Einkommensgruppen berechnen, daß von den 608000 freigestellten Personen 362500 um 1 Stufe, 195000 um 2 Stufen, 4200 um 3 Stufen und 6200 um 4 Stufen ermäßigt sind. Wenn Hr für die um 1 Stufe Ermäßigten ein Durchschnittseinkommen von 75 M., für die um 2 Stufen Ermäßigten ein Durchschnittsein- Ommen von 1125 M. usf. annehmen, so erhalten wir als Gesamt- tinkommen der Freigestellten 638 Mill. M. (und ein Durchschnitts- inkommen von 1049 M.).
6 Arthur Friedmann,
Tabelle
Berechnung des Durchschnittseinkommens der Personen mit
Verhältnis der Zensitenzahl mit einem Einkommen von 1200—1350 M., 1050—1200 in Preußen und Sachsen.
Sachsen 18925) Peußen 1892’)
Verbält- Zahl der Zensiten Verbält- niszahlen niszahlen u. EICHE SS An FR SEIFE Einkommens- Zahl der 5 ZP S Einkommens- | > s E 3 SR gE Ké S Zensiten |M © S PRADES gruppe u ES gj gruppe sẹ |a apon Ea g Stog os ä3823°%303 SEL 33 EREES es: JanS Sg IB ee B (geschätzt) | S 34 * f BEBSISaE“ unter 800 M. 19531953 800— 850 „, | 9 | oss 100 unter 900 M. | 8381 8381 100 850— 900 „ (Iran 43 900— 950 „ | 35 | 950—1000 „ 31 94 8,99 | 900—1050 „ | 659 709 8,46 1000—1050 „ 84| 28 1050—1100 „, 25 I100--I150 „ | | 65| 621 | 1050—ı1200 „| 437 470 5,61 1150—1200 „, 57| 19 1200—1250 „ | 17 1250—1300 „ | d 42| 4,02 |1200—ı350 „| 235 253 3,02 1300—1350 „ 35| r1 1350—1400 „, J 10 Durchschnittseinkommen der Zensiten mit | Durchschnittseinkommen der Zensiten mit einem Einkommen unter 900 M: 523 M. einem Einkommen unter 900 M. (nach (siehe Tabelle I). den sächsischen Zahlen geschätzt): 520 M.
Die Zahl der nach § 18 resp. 19 des Einkommensteuergesetzes ermäßigten Personen war 1912 ebenfalls erheblich höher als 1892 und zugleich wurde 1912 durchschnittlich um einen höheren Betrag als 1892 ermäßigt. 1892 kamen nur 543000 Personen in Frage, die allesamt nur um 1 Stufe, durchschnittlich vielleicht um 170 M. er- mäßigt wurden, zusammen also um einen Einkommensbetrag von ca. 90 Mill. M. Hingegen wurde 1912 diese Vergünstigung 2018000 Per- sonen mit einem Einkommen zwischen 1050 und 6500 M. und 18000 Personen mit einem Einkommen zwischen 6500 und 9500 M. zuteil. Das nicht veranlagte Einkommen der ermäßigten Zensiten mit einem Einkommen unter 3000 M. läßt sich auf 407,6 Mill. M., das nicht veranlagte Einkommen der Zensiten mit einem Einkommen von 3000—6500 M. auf 120,5 Mill. M. schätzen (siehe die Berechnung Tabelle VI und VII).
5 5) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen auf das Jabr 1904, . 106.
6) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen, 1910, S. 128.
7) Statistik der Preußischen Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1892 und 1912.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 7
IV.
weniger als 900 M. Einkommen in Preußen 1892 und 1912. und 900—1050 M. zur Zahl der Zensiten mit einem geringeren Einkommen als 900 M.
(Zahl der Zensiten in Tausend.)
Sachsen 1908°)
Preußen 1912’)
Verhält- F | Verhält- Iniszahlen Zahl der Zensiten \niszahlen ER ; 83282 8835 d EES Ee E | „0:7 Einkommens- éiren ZS m © | Einkommens- | > ze 3g 15 SiS e e S gruppe kv ES e gruppe „S 58a, Bi, CPR ga |=2=5 S Soe. ` ek ER am wWEEEISKER C bel gd Faek- Pid: | (geschätzt) S 2.3 * Ei 1885335834“ unter 800 M. Joao ago | 800— 85o „ | 69 $ 1126| 100 unter 900 M.| 8159 8159 100 850— 900 2 202| 67 900— 950 „ 66 950—1000 „, | 65% 193) 17,14 | 900—1050 „ | 1366 1507 18,48 1000—1050 „, | 7 62| 1050—1100 „, 60 1100—1150 „ | 55% 165| 14,65 | 1050—ı200 „ | 1185 1307 16,02 1150—1200 „, Í 148| 50 1200—1250 „ 43 1250—1300 „ l 36 + 113| 10,04 | 1200—1350 „, 904 997 12,22 1300—1350 „ | 103| 34 1350—1400 „ J 33
Durchschnittseinkommen der Zensiten mit einem Einkommen unter 900 M.: 576 M. (siehe Tabelle II).
Durchschnittseinkommen der Zensiten mit einem Einkommen unter 900 M. (nach den sächsischen Zahlen geschätzt): 585 M.
Die Zensiten mit einem Einkommen von 6500—9500 M. werden
nach dem Gesetze von 1909 bei 3 versorgungsberechtigten Ange- hörigen um 1 Stufe, bei je 2 weiteren Angehörigen um 1 Stufe mehr ermäßigt. Der Gesamtsteuerausfall betrug 1912 für 18000 Personen 539000 M., also pro Kopf 30 M., was einem nicht ver- anlagten Einkommen von ca. 800 M. entspricht. Insgesamt wären so die ermäßigten Zensiten mit einem Einkommen von 6500—9500 M. um 14 Mill. M. zu niedrig veranlagt worden.
Es betrug demgemäß 1912 das nach § 19 des Einkommensteuer- gesetzes nicht veranlagte Einkommen der Zensiten mit einem
` Einkommen von 1050—3000 M. 3000—6500 nm 6500—9500 nm
nm nm HI HI
nt
407,6 Mill. M. 120,5 » n 14,0 A ul zusammen 542,0 Mill. M.
s 8) Die Zahl der Zensiten mit einem Einkommen von weniger als 3000 M. t sich insgesamt infolge von Ermäßigungen und Freistellungen um die Zahl der
freigestellten Zensiten vermindert.
Wir nehmen an, daß sich alle Einkommens-
gruppen von 900—3000 M. um einen ihrer Besetzung entsprechenden Teil ver- min und erhöhen darum die Zahl der veranlagten Zensiten entsprechend.
Arthur Friedmann,
Tabelle V.
Die Freistellung oder Ermäßigung nach $ 19 des Einkommensteuergesetzes erfolgte im Jahre 1911 bei einem Einkommen von 900—3000 M. wegen des Vorhandenseins von
| 2 |3 |4 | 5 |6 |7 |8 | 9|10|11 |12 |13|14| Summe
Kindern resp. Angehörigen
in Fällen (absolute Zahlen) ?) 887 502 | 625 662 | 392 863 | 237 684 | 121 130 | 49,204 | 16 387 | 4363| 1072| 222 | 46 | 2 | ı | 2 336 138 in Prozent der Ermäßigungen 38,0 26,79 16,81 10,17 5,20 2,09 | 0,70 |0,18 | 0,05 | 0,01 um Kei KK 1 5 6 in Prozent der Ermäßigungen 38,0 Sé D 1 s 37 2,72 0,23 0,01
Durchschnittliche Ermäßigung um 1,84 Stufen.
Die Ermäßigung nach $ 19 des Einkommensteuergesetzes erfolgte im Jahre 1911 bei einem Einkommen von 3000—6500 M. wegen des Vorhandenseins von
|2 |8 | |5 | e | | 8 |9 | 10| ar] 12ļ13|14| Summe
Kindern resp. Angehörigen von
in Fällen (absolute Zahlen) 8 87 834| 57777 | 27766| 15860| 6753 | 3669 | 1492 | 653 | 230 Së 3 202 156 in Prozent der Ermäßigungen 43,45 28,58 13,74 7,85 3,34 1,82 0,74 |0,32 |0,11| 0, 27 Er um Stufen — ee er Tas en Sn u —— ee 1 2 | 5 6 | 7 in Prozent der Ermäßigungen 43,45 42,32 11,19 2 sé | 0,43 0,05 | |
Durchschnittliche Ermäßigung um 1,74 Stufen.
9) Mitteilungen aus der Verwaltung der direkten Steuern, No. 55, S. 154 und 156.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 9
Tabelle VI.
Betrag des nicht veranlagten Einkommens der nach $ 19 des Ein- kommensteuergesetzes ermäßigten aber nicht freigestellten Zensiten mit einem Einkommen von 1050—3000 M. im Jahre 1912.
Die Zahl der veranlagten Zensiten mit einem Einkommen von 900—3000 M. beträgt 6123000, die Zahl der nach § 19 Freigestellten 608 000, zusammen 6 731 000. Es wurden nach $ 19 insgesamt ermäßigt oder freigestellt 2414000, das sind 35,9 %,. Die Ermäßigung erfolgten (siehe Tabelle V) in 38 °/, der Fälle wegen des Vorhanden- seins zweier Angehöriger, also um eine Stufe, in 43,6 °/, der Fälle wegen 3 oder 4 Angehöriger — um 2 Stufen —, in 15,4, 2,8, 0,2 °/, der Fälle um 3, resp. 4 und 5 Stufen. Im Durchschnitt wurde um 1,84 Stufen ermäßigt (Tabelle V). — Bei der Gruppierung der Zensiten in die einzelnen Einkommensgruppen wurden die stattgehabten Ermäßigungen bereits in Betracht gezogen, so daß alle Einkommensgruppen schwächer als in Wirklichkeit besetzt sind. Von den insgesamt 18 000 Ermäßigten wurden nur 17 000 berücksichtigt. Da sich die nicht berücksichtigten Ermäßigten auf die einzelnen Ein- kommensgruppen ungefähr entsprechend der angegebenen Stärke derselben verteilen, ist dem ermittelten, nicht veranlagten Einkommen 5,9 °/, hinzuzurechnen.
e d | e f g h | l A We geg Betrag des nicht Zonaiton oin: Zahl der ermäßigten Zensiten aus- ss Fe veranlagten der frei- schließlich der freigestellten mañigungen UM Tinkommens | „gezielten Ein- (eX g) (38,9 von b) kommens-
Tausend Dh von e Tausend stufen (Mark 1000 M. 425,42 um I Stufe ermäßigt . 38,0|161,66 I 150 | 24 249 324,54 um 2 Stufen ermäßigt 43,6|141,50 2 300 42 450
4 „ 1 Stufe ñ 38,0|123,33 I 150 18 500 um 3 Stufen ermäßigt 15,4| 43,56 3 450 19 602 282,89 »2 y n 43,6|123,34 2 300 37 002 „ I Stufe be 38,0|107,50 I 150 16 125 190,638 um 1-4 Stufenermäßigt 99,0 188,72 155,81 100,0 SCD 1,84 276 132 842 136,78 100,0 136,78 94,78 100,0| 94,78 1,84 426 40 376 57,80 100,0| 57,80 39,49 100,0 san 97,29| 1,84 | 552 53 704
Summe 384 850 zuzüglich 5,9 °/ 22706 Gesamtbetrag des nicht veranlagten Einkommens der er- mäßigten Zensiten mit 1050—3000 M. Einkommen 407,6 Mill. M.
Nun hat aber die offizielle Statistik bereits diejenigen Zensiten, le bei einem Einkommen über 3000 M. zu einem niederen Ein- kommen als 3000 M. veranlagt wurden, nicht wie sonst derjenigen Inkommensgruppe, zu der sie veranlagt wurden, sondern der Ein- Ommensgruppe, 3000—3300 M. hinzugezählt10). Eine spezielle Be- rechnung zeigt, daß sich hierdurch eine Differenz von 36 Mill. M. ergibt. Wir hätten also dem von der offiziellen Statistik verzeich- Tr
191 D uni der Preußischen Einkommensteuerveranlagung für das Jahr » 8. 5/6.
10 Arthur Friedmann,
Tabelle VII.
Berechnung des nicht veranlagten Einkommens der nach § 19 des Einkommensteuergesetzes ermäßigten Zensiten mit einem Einkommen von 3000—6500 M. im Jahre 1912.
Von 565 000 Zensiten wurden 212000, das sind 37,5 °/,, ermäßigt. Die Ermäßigung erfolgte (vgl. Tabelle V) in 43,5 °/, der Fälle wegen Vorhandenseins von 2 An- gehörigen, also um eine Stufe, in 42,3 °/, der Fälle wegen 3 oder 4 Angehöriger — um 2 Stufen —, in 11,2, 2,6 und 0,4°/, um 3 resp. 4 und 5 Stufen. Im Durch- schnitt wurde um 1,74 Stufen ermäßigt (Tabelle V).
a b c d e Zahl der |durchschnitt- Betrag d. nicht Einkommensgruppe Zahl der Zensiten ermaßi Bien CRT We ranlāgten Zensiten gung um | Einkommens |(37'/,°/, von b)! (1°/, Stufen) (e X d) M. Tausend Tausend Mark 1000 M. über 3000, aber zu weniger) als 3000 veranlagt 75,0 | 3000—3300 98,9 3300—3600 79,9 3600—3900 64,17 477,4 179,0 525 93 975 3900—4200 57,6 4200—4500 49,2 4500—5000 52,7 5000—5500 39,6 14,9 725 10 803 abzüglich 5 Tsd. zu i ls 6500 M. men bal Ten gaan j gte Zensiten %48,0 18,0 875 15750 S 6500 22,7 mit mehr als 6500 M. Einkommen
Gesamtbetrag des nicht veranlagten Einkommens der Zensiten mit 3000—6500 M. Einkommen 120,5 Mill.M.
neten Einkommen nicht 542 Mill. M., sondern 36 Mill. M. weniger, das sind 506 Mill. M., hinzuzurechnen.
Die Freistellungen und Ermäßigungen auf Grund des 819 resp. 20 des Gesetzes wegen ungünstiger Lebensverhältnisse sind nicht erheblich. 1892 wurden 4430 Personen befreit mit einem Einkommen von ca. 5 Mill. M., ermäßigt wurden 49000 Personen. Der Gesamtsteuerausfall infolge der Freistellungen und Ermäßi- gungen betrug 543000 M., infolge der Ermäßigungen allein also ca. 500000 M., das wären pro Kopf 10 M. Das nicht veranlagte Ein- kommen der Ermäßigten läßt sich danach auf 400 M. pro Kopf, insgesamt auf 20 Mill. M. schätzen.
1912 wurden 23000 Personen nach $ 20 des Gesetzes frei- gestellt mit einem Gesamteinkommen von ca. 23 Mill. M. Die Zahl der Ermäßigten betrug 185000, der Steuerausfall infolge der Er- mäßigungen einschließlich der Freistellungen 1569000 M., aus- schließlich der Freistellungen schätzungsweise 1380000 M., das sind pro Kopf ca. 7,4 M. Steuerausfall, was einem nicht veranlagten Ein- kommen von ca. 320 M. entspricht. Das nicht veranlagte Ein- kommen der Ermäßigten stellt sich somit auf etwa 58 Mill. M.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 11
Zusammenfassend erhalten wir folgende Summen: 1892 1912 Mill. M.
Gesamtes veranlagtes Einkommen über 3000 M. 2812 6 656 unter 3000 „, 2912 6 584
Einkommen der Haushaltungsvorstände und Einzelsteuernden mit weniger als 900 M. Einkommen 4 291 467 Einkommen der nach $ 18 resp. 19 freigestellten Zensiten 151 638
Nicht veranlagtes Einkommen der nach $ 18 resp. 19 ermäßigten Zensiten 90 506 Einkommen der nach § 19 resp. 20 freigestellten Zensiten 5 25
Nicht veranlagtes Einkommen der nach $ 19 resp. 20 ermäßigten Zensiten 20 58
10281 21140
Die Bevölkerungszahl betrug Ende 1891 30337000, Ende 1911 40740000. Das Durchschnittseinkommen stellte sich danach 1892 auf 338,9 und 1912 auf 518,9 M., die Steigerung des Einkommens betrug 53,1%.
Bei der hier gegebenen Schätzung des Einkommens auf Grund der Veranlagungsergebnisse ist nur die Schätzung der Ein- Kommen unter 900 M. unzuverlässig (auf die Ungenauigkeit der Ver- anlagung selbst nehmen wir erst später Rücksicht). Aber auch et- waige fehlerhafte Schätzungen der Einkommen unter 900 M. würden nicht allzu sehr’ ins Gewicht fallen: Wäre beispielsweise in den beiden Vergleichsjahren (was schon recht unwahrscheinlich ist) das Einkommen der steuerfreien Personen durchschnittlich 60 M. höher oder niedriger, als wir annahmen, so würde das Durchschnittsein- kommen des Jahres 1892 355,5 resp. 322,3 M., das Durchschnitts einkommen des Jahres 1912 530,9 resp. 506,9 M. betragen und die Steigerung statt 53,1% 49,1% resp. 57,30/o ausmachen. Und wenn wir fälschlicherweise eine um 30 M. zu geringe Steigerung des Durch- schnittsbetrages der Einkommen unter 900 M. (von 512 auf 573 statt auf 603 M.) angenommen hätten, so würde doch die ermittelte Einkommenssteigerung noch nicht um 2% von der wirklich er- folgten Steigerung, die sich auf 54,8% beliefe, abweichen.
Unter den außerpreußischen Bundesstaaten will ich allein für Sachsen eine Berechnung des Durchschnittseinkommens ver- zeichnen. Hier gibt die offizielle Steuerstatistik selbst die erforder- lichen Zahlen. Das Gesamteinkommen aller physischen Zensiten, einschließlich der steuerfreien Personen mit einem Einkommen von weniger als 300 resp. 400 M. betrug nach Abzug der Schuldzinsen 1892 1525 Mill. Mu, 1911 etwa 3070 Mill. M.12). Die Er- mäßigungen wegen Kinderprivilegs sind für das Jahr 1892 unerheb- lich, für das Jahr 1911 wurde das Einkommen ohne vorherige Er- mäßigung gezählt. Das Durchschnittseinkommen stellte sich 1892 auf 427,6 M., 1911 auf 638,7 M.; es war somit 1892 26,200
11) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen auf das Jahr 1894,
8.103 und 8 109. 12) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen, 1912, S. 185.
12 Arthur Friedmann,
höher als in Preußen, 1911 23,1% höher als in Preußen 1912. Die Einkommensteigerung betrug während dieser 19 Jahre 49,3% während sie in Preußen in den 20 Jahren 53,1% ausmachte. Bei einem Vergleich der preußischen und sächsischen Einkom- men ist zu beachten, daß die ländliche Bevölkerung in Sach- sen relativ geringer als in Preußen ist (1910 wohnten in Sach- sen nur 27,0% der Bevölkerung in ländlichen Gemeinden, in Preußen dagegen 38,5%013). Da der Realwert eines bestimmten Ein- kommens auf dem Lande größer als in der Stadt ist, so sind die Einkommensunterschiede von Preußen und Sachsen weniger be- deutend, als dies nach den obigen Zahlen der Fall zu sein scheint.
In den übrigen Bundesstaaten wird das Nominaleinkommen kaum höher als in Preußen, jedenfalls nicht so hoch wie in Sachsen sein; die ländliche Bevölkerung ist in den nicht-preußischen Bundesstaaten (außer Sachsen) stärker vertreten als in Preußen, die Bevölkerung in ländlichen Gemeinden macht hier 46% der Gesamtbevölkerung aus gegen 38,5% in Preußens). Das Durchschnittseinkommen für das Reich wird jedenfalls nicht wesentlich von dem preußischen Durchschnittseinkommen abweichen.
Da nun das steuerpflichtige Einkommen durch die Steuer nicht vollständig erfaßt wird, wäre es weiter nötig, die Höhe des hinter- zogenen resp. zu wenig veranlagten Einkommens zu schätzen. Uns interessiert es vor allem, ob sich in dieser Hinsicht für die beiden Vergleichsjahre 1892 und 1912 verschiedene Verhält- nisse ergeben. Aber auch die absolute Höhe der Hinterziehungen ist deshalb von Bedeutung, weil bei absolut höheren Hinterziehungen eine etwaige Verminderung derselben im Laufe der Jahre mehr ins Gewicht fallen würde. Man nimmt an, daß die präzisere Ausbildung der Steuertechnik mit den Jahren eine vollständigere Erfassung des Einkommens ermöglichte.
Für die Einkommen über 3000 M. läßt sich ein ge- wisser Anhalt für die Höhe der Hinterziehungen aus der Zahl und den: Erfolge der Steuerbeanstandungen gewinnen. Im Jahre 1911 wurden in Preußen 35,30%% aller Steuererklärungen beanstandet und von diesen 72,8% (25,7% aller Steuerklärungen) berichtigt. Die betreffenden Zensiten wurden zu einem durchschnittlich 300 höhe- ren Einkommen veranlagt‘). Ein nicht unerheblicher Teil dieser Berichtigungen wurde allerdings wieder auf Grund eingelegter Be- rufungen korrigiert. Während nach den Beanstandungen des Jahres 191035) insgesamt 13454000 M. mehr Einkommensteuern aufzu- bringen waren — meist von Zensiten mit einem Einkommen von mehr als 3000 M. — wurden auf Grund der Berufungen und Be- schwerden der Zensiten mit mehr als 3000 M. Einkommen, die ver-
13) Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 1913, S. 4. 14) Mitteilungen aus der Verwaltung der direkten Steuern in Preußen, 1912, No. 55, S. 132 und 134.
15) Für 1911 liegen die erforderlichen Zahlen zurzeit nicht vor.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 13
mutlich meist beanstandete Steuererklärungen abgegeben hatten, 2882000 M. Steuern ermäßigt!‘). Danach wären die berichtigten Einkommen nicht um 30%, sondern um reichlich ein Fünftel weniger, also um etwa 23,5%, zu niedrig deklariert worden. Sicher wird nun aber auch bei der Beanstandung das tatsächliche Einkommen nicht vollständig ermittelt. Betrugen die festgestellten Hinterziehungen 23,50%, so mochten die wirklichen Hinterziehungen vielleicht 33,5% ausmachen; wir hätten dann zu dem nach den Beanstandungen und Berufungen berichtigten Einkommen noch Soa hinzuzurechnen. — Er- wägen wir nun, daß 25,7% aller Zensiten nachweislich ihr Ein- kommen um 23,5%, wahrscheinlich erheblich mehr, vielleicht um 33,5%o zu niedrig angaben, und berücksichtigen wir weiter, daß von den beanstandeten Zensiten immerhin nur 27% kein Fehler in den Angaben nachgewiesen wurde, so werden wir vermuten dürfen, daß auch bei den nicht beanstandeten Zensiten unrichtige Deklarationen von erheblichem Umfange vorkamen. Wir schätzen, daß die 6500 nicht beanstandeter Zensiten ihr Einkommen um durchschnittlich 10—15% zu niedrig angaben. Da wir für die beanstandeten Zen- siten noch nach der Berichtigung eine Hinterziehung von 80/ ver- muten, so hätten wir für die deklarierten Einkommen im Durch- schnitt eine Hinterziehung von 10% zu rechnen.
Es ist nun weiter zu bestimmen, in welchem Maße die Hinter- ziehungen im Laufe der Jahre abgenommen haben. Auch in dieser Hinsicht sind die Erfolge der Beanstandungen von einigem Wert. Ein Vergleich der Jahre 1898 und 1911 zeigt, daß im Jahre 1898 nicht erheblich mehr Hinterziehungen als 1911 nachgewiesen wurden. Während im Jahre 1898 merklich weniger Deklarationen beanstandet wurden als 1911, 32,5% gegen 35,3%, wurden doch fast ebensoviel Erklärungen berichtigt, 24,5 gegen 25,7%, und man könnte daraus allerdings auf etwas häufigere Hinterziehungen schließen. Anderer- seits wurden im Jahre 1898 verhältnismäßig geringere Summen berichtigt, 27,1 gegen 300% des deklarierten Einkommens. Immerhin darf man aus der Tatsache, daß die Steuerbehörden trotz ihrer noch geringeren Erfahrungen und ihrer weniger weitreichenden Befug- nisse vor 14 Jahren ebensoviel Hinterziehungen als heute nachwiesen, schließen, daß die tatsächlichen Hinterziehungen damals wesentlich größer waren. Wir schätzen, daß die Steuerhinterziehungen im Jahre 1892, soweit sie nicht durch die Beanstandungen berichtigt wurden, 15%0 betrugen gegen 10% im Jahre 1912. Ueber die eventuellen durch die Unzuverlässigkeit dieser Schätzung bewirkten Fehler sprechen wir später.
Die Einkommen unter 3000 M., bei denen die Veranlagung vielfach ohne genügenden Anhaltspunkt erfolgen muß, sind wahr- scheinlich noch häufiger als die Einkommen über 3000 M. zu niedrig
16) 1. c., S. 148.
17) Kurt Nitsche, Einkommen und Vermögen in Preußen und ihre Ent- wicklung seit Einführung der neuen Steuern mit Nutzanwendung auf die Theorie der Einkommensentwicklung, 1902.
14 Arthur Friedmann,
eingeschätzt. Insbesondere werden vielfach etwaige Nebeneinnahmen der einzuschätzenden Personen nicht berücksichtigt: der Arbeits- verdienst; von Frau und Kindern, der Nebenerwerb des Mannes, die Einnahmen aus Naturalien, bei Untervermietung derjenige Betrag, der über den eigenen Mietbetrag hinausgeht. Bei etwas höheren Ein- kommen, die schon nahe an 3000 M. herankommen, spielen, wie Nitsche'?) hervorhebt, bereits Einnahmen aus Kapitalien eine er- hebliche Rolle, die bei der Einschätzung sicher nur ganz ungenügend erfaßt werden. Die Reichserhebung von Wirtschaftsberechnungen minderbemittelter Familien!s) gibt auf 100 Teile des Arbeitsver- dienstes des Mannes 21,4 Teile anderweitiger Einnahmen an, dar- unter etwa, 15—20 Teile eigentliches Einkommen. Hierbei scheinen aber die Nebenverdienste, beispielsweise das Arbeitseinkommen der Frau, noch nicht vollständig erfaßt zu sein.
Auch hier, bei den nicht deklarierten Einkommen ist es von be- sonderem Interesse, ob die Einschätzungen im Laufe der letzten 2 Jahrzehnte richtiger geworden sind. In dieser Hinsicht ist die gesetzliche Bestimmung des Jahres 1906 von Bedeutung (§ 23 des Einkommensteuergesetzes), die die Arbeitgeber zur Auskunft über das Einkommen der Arbeitnehmer verpflichtet. Ein Vergleich des in den Jahren 1906 und 1908 veranlagten Einkommens zeigt aber, daß die Erfolge des neuen Gesetzes nicht allzu weitreichend waren. Das veranlagte Durchschnittseinkommen der städtischen Zensiten mit einem Einkommen von 950—1050 M. nahm allerdings, wie sich aus der Abnahme der Zensitenzahl mit einem Einkommen von weniger als 1050 M. berechnen läßt, um ca. 11 % zu), in der gleichen Zeit stieg aber auch das wirkliche Einkommen um mindestens 5%. Nach den Lohnnachweisungen der Berufsgenossenschaften stieg der Durch- schnittslohn eines Vollarbeiters von 1905—1906 um 5%, von 1906
18) 2. Sonderheft zum Reichsarbeitsblatt, 1909.
19) Vom Jahre 1906 bis zum Jahre 1908 verminderte sich in den Stadt- kreisen die Zahl der Zensiten mit weniger als 1050 M. Einkommen von 3 105 000 auf 2917000, wenn die Freigestellten und Ermäßigten ihrer eigentlichen Ein- kommensgruppe zugewiesen werden, von ca. 3032000 auf 2837000. Dies be- deutet bei einer Bevölkerungszunahme von 8,26 % eine relative Verminderung um 13,400. Es müssen also 13,4% aller Personen mit einem Einkommen von weniger als 1050 M. von 1906 bis 1908 eine so starke Einkommensteigerung erfahren haben, daß ihr Einkommen 1908 1050 M. oder mehr betrug. Da 1906 die Zensiten mit einem Einkommen zwischen 900 und 1050 M. 20,600 aller Zensiten mit einem Einkommen unter 1050 M. ausmachten, so läßt sich schätzen, daß die Einkommen zwischen 945 und 1050 M. 13,4% aller Einkommen unter 1050 M. darstellten. Wenn nun sämtliche Einkommen um 11,1% gestiegen wären, so würden alle Einkommen zwischen 945 und 1050 M. die Grenze von 1050 M. überschritten haben, also die Zahl der Einkommen unter 1050 M. um 11,1% vermindert sein. Tatsächlich haben nun nicht alle Einkommen gleichmäßig, sondern die einen mehr als 11%, die anderen weniger als 11 % zugenommen, die anderen gar abgenommen. Es läßt sich aber zeigen, daß, wenn nur die durch- schnittliche Steigerung 11% betragen hätte, etwa ebensoviel Einkommen wie zwischen 945 und 1050 M. liegen, die Höhe von 1050 M. erreicht hätten. Auch die Tatsache, daß die Einkommen zwischen 945 und 1050 M. nicht gleich- mäßig verteilt sind, sondern mehr Einkommen 945 als 1050 M. nahekommen, ist für das Resultat von keiner wesentlichen Bedeutung.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 15
bis 1907 um 4% und von 1907—1908 um 0,4% 2). Da der Steuer- veranlagung vorwiegend das Einkommen des vorangegangenen Jahres zugrunde liegt, so hätte wenigstens das Einkommen der Arbeiter von 1906—1908 um ca. 8% zugenommen, und da in den größeren Städten, um die es sich hier handelt, die meisten Zensiten mit einem Einkommen von 950—1050 M. industrielle Arbeiter sind, könnte auch für den Durchschnitt der Zensiten dieser Einkommensgruppe mit einer Einkommensteigerung von mindestens 50% gerechnet werden. Die gesetzliche Regelung, die den Steuerbehörden die Er- kundigung beim Arbeitgeber des Einzuschätzenden gestattet, hätte danach, selbst für die großstädtische Bevölkerung der niedersten Einkommensgruppen, eine kaum mehr als 6%0 höhere Einschätzung zur Folge gehabt).
Die Veranlagung der niederen Einkommen mag allerdings in der Zeit von 1892—1912 auch unabhängig von der gesetzlichen Neu- regelung des Jahres 1906 nur auf Grund der besseren Erfahrungen der Steuerbehörden vollständiger geworden sein. Wir veranschlagen die heutigen Mindereinschätzungen der nicht deklarierten Einkommen zu 1500, im Jahre 1892 zu 220%). — Da die Einkommen unter 900M. nach der Höhe der veranlagten Einkommen geschätzt wurden, erheben wir auch zu diesem Einkommen den gleichen Zuschlag wie zu den Einkommen zwischen 900 und 3000 M.
Berechnen wir, gemäß den hier veranschlagten Hinterziehungen und Mindereinschätzungen für die Einkommen über 3000 M. im Jahre 1892 einen Zuschlag von 15%, im Jahre 1912 einen Zuschlag von 10%, für die Einkommen unter 3000 M. im Jahre 1892 einen Zuschlag von 22%, im Jahre 1912 von 15%, so würde sich das Durchschnittseinkommen im Jahre 1892 statt auf 338,9 auf 407,0 M., 1912 statt auf 518,9 auf 588,4 M. stellen, und die Steigerung des Durchschnittseinkommens von 1892—1912 betrüge nicht 53,1 son- dern 44,6%.
Gewiß sind diese Schätzungen über den Umfang der Steuer- hinterziehungen nur unzuverlässig, doch würde auch hier — ähn- lich wie wir dies früher für die Berechnung der Einkommen unter 900 M. gezeigt haben — ein etwaiger Fehler nicht allzu schwer wiegen: Wäre die wirkliche Hinterziehung in den beiden Jahren um einen gleichen Prozentsatz höher oder niedriger, als wir voraussetzen, so wäre dies für das Resultat gleichgültig. Aber auch wenn beispielsweise die Hinterziehungen im Jahre 1892 statt 5—7% nur 3 oder 40% größer gewesen wären als im Jahre 1912, wäre die Steigerung des Durchschnittseinkommens nur um wenige Prozent stärker gewesen, als wir angaben.
20) Richard Calwer, Das Wirtschaftsjahr 1907, I, S. 303 und Das Wirtschafts- jahr 1908, I, 8. 323.
21) Auch ein Vergleich der Veranlagungsergebnisse der preußischen Stadt- kreise mit den Veranlagungsergebnissen für das Königreich Sachsen in den Jahren 1906—1908 macht es wahrscheinlich, daß ein erheblicher Teil der Zunahme des ver- anlagten Einkommens der Zensiten mit weniger als 1050 M. Einkommen auf eine wirkliche Einkommenssteigerung zurückzuführen ist.
16 Arthur Friedmann,
Da wir beabsichtigen, späterhin die staatlichen Leistungen in den beiden Vergleichsjahren besonders zu behandeln, müssen wir, um eine Doppelzählung zu vermeiden, von dem bisher ermittelten Durchschnittseinkommen noch die in diesem Einkommen mitein- begriffenen Steuern in Abzug bringen. Die in den Jahren 1891 und 1911 gezahlten direkten Staats- und Kommunalsteuern, soweit sie bei der Besteuerung der Jahre 1892 und 1912 nicht in Abzug gebracht wurden, berechnen sich, wie nachfolgende Aufstellung er- gibt, auf zirka 354 resp. 930 Mill. M.; das wären 11,4 resp. 22,8 M. pro Kopf der Bevölkerung:?). Das Durchschnittseinkommen abzüg- lich aller Steuerleistungen betrug danach 1891 395,6 M., 1911 565,6 M., die Steigerung 43,0 ou.
Berechnung der direkten Staats- und Kommunalsteuern physischer
Personen im Jahre 1891, soweit sie bei Feststellung des steuerpflich- tigen Einkommens nicht in Abzug gebracht wurden.
1. Staatseinkommensteuer . » . s 2 2 20000. äng éi ner Ser 3 77 Mill. M. 2. Direkte Steuern der Kommunen. a) Städte. Direkte Steuern der Städte mit mehr als 10000 Ein-
Wohnen. WEE E EEN . . , 122 Mill. M.
abzüglich der von nicht physischen Personen ge- leisteten Realsteuern (Summe der Realsteuern 17 MM) a ern
In 421 (für den betreffenden Kreis typischen) Städten mit weniger als 10 000 Einwohnern betrugen die direkten Steuern 13 Mill. M20. in sämtlichen 1058 Städten mit weniger als 10 000 Einwohnern also schätzungsweise < a s 2: 1 2 2 2 02er. ER Y!
b) Landgemeinden.
Die Steuern in den Landgemeinden der sieben öst-
lichen Provinzen (einschließlich Provinzial-, Kreis- und Schulabgaben) betrugen 1888 43 Mill. M.°*). Wir schätzen die direkten Steuern der Landge- meinden in den genannten Provinzen auf 40 Mill. M. Die Landgemeinden der fünf westlichen Provinzen zahlten 1883 92°/, mehr direkte Steuern als die östlichen Provinzen). Wenn wir für das Jahr 1888 ein noch etwas günstigeres Verhältnis für die westlichen Provinzen annehmen, erhalten wir für dieselben direkte Steuern in der Höhe von etwa 78 Mill. M.
Die direkten Steuern sämtlicher preußischer Land- gemeinden betrugen danach 1888 ca. 118 Mill. M.; von 1888—1891 nahmen die direkten Staatssteuern in Preußen um 8°/, zu; wir rechnen für die gleiche Spanne Zeit eine Vermehrung der Kom- munalsteuern der Landgemeinden um 5°/,.
Gesamtsumme der direkten Steuern der Landge-
meinden ca... De E, E Br ee en TA mu (CT 5, 5 Gesamtsumme der von den veranlagten Einkommen nicht in Abzug gebrachten direkten Steuern im Jahre 1891 ...... 354 Mill. M
22) Die indirekten Steuern wären hier außer acht zu lassen; die Ver- teuerung der Waren durch Verbrauchsabgaben und Zölle wird später bei Ermitt- lung des Realeinkommens berücksichtigt werden.
23) Drucksachen des Preuß. Abgeordnetenhauses, Sess. 1892/93, No. 7.
24) Statistisches Handbuch für den Preuß. Staat, Bd. 2, S. 623.
25) Ebenda, 8. 619.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 17
Berechnung der direkten Staats- und Kommunalsteuern physischer Personen im Jahre 1911, soweit sie bei Feststellung des steuerptlich- tigen Einkommens nicht in Abzug gebracht wurden.
Staatseinkommensteuer physischer Personen . » » » 2 22.200. e 306 Mill, M. Ergänzungssteuer . e 2 2 0 2 0 ee een ooo DÉI 4 Direkte Gemeindesteuern der Städte . . 2» 222... 582 Mill. "=. Direkte Steuern der Landgemeinden mit mehr als 10 000
Einwohnen . » < s 2222000. S AË, vn ` eg
Die direkten Steuern der Landgemeinden mit weniger als
10000 Einwohnern lassen sich schätzungsweise ermitteln.
1907 betrugen die direkten Steuern in Gemeinden unter
10000 Einwohnern (Stadtgemeinden mitgerechnet) 171
Mill. M. (zuzüglich der Abgaben besonderer Schulver-
bände)”®), pro Kopf 7,6 M. Danach lassen sich die Steuern
in den Gemeinden unter 10000 Einwohnern (ausschließ-
lich der Stadtgemeinden) 1911 (Einwohnerzahl 19 Mil-
lionen) bei Annahme einer Steuer von 9,1 M. pro Kopf
schätzen auf . .». . 2 2 220% d at NEE GE: NIE Gesamtsumme der direkten Steuern der Kommunen 813 Mill. M. Von dieser Summe sind 100 °/, der staatlich veranlagten
Realsteuern, die nach dem Gesetze von 1906 als Werbungs-
kosten von dem besteuerten Einkommen abgezogen werden
dürfen, in Abrechnung zu bringen. Die Gemeinden ver-
anlagen fast ausnahmslos 100 °/, der Realsteuern. 100°,, der staatlich veranlagten Realsteuern . ..... 190 „ „ Es bleiben ..: ora saoe oo 0%» . 623 Mill. M. Hiervon wären weiter die von nicht physischen Personen
geleisteten Steuern in Abzug zu bringen, die nach An-
gaben für das Jahr 1899?’) auf 10°/, der Summe ge-
schätzt werden können. 10°/, von 623 Mill. M. . » co 220er 000. sah DÉI. Aé 0 Gesamtsumme der von dem steuerpflichtigen Einkommen
nieht in Abzug gebrachten direkten Kommunalsteuern
physischer Personen . . » 2 sss en een er rnen ne z 13 yp "up Gesamtsumme der von dem veranlagten Einkommen nicht in Abzug gebrachten direkten Steuern physischer Personen . . .. . » 930 Mill. M.
2. Die Verteuerung der Lebenshaltung und die Steigerung des Realeinkommens.
Nachdem wir bisher zu einer ungefähren Ermittlung des durch- schnittlichen Nominaleinkommens gelangt sind, gehen wir nunmehr dazu über, durch einen Vergleich der Lebenshaltung, die in den beiden Jahren auf Grund des jeweiligen Einkommens ermöglicht wurde, die Steigerung des Realeinkommens zu bestimmen. Da, wie wir bereits früher betonten, das veranlagte Einkommen eines be- stimmten Steuerjahres mehr dem tatsächlichen Einkommen des vor- angegangenen ‚Jahres entspricht, legen wir die Preise der Jahre 1891 und 1911 zugrunde. — Wir werden zuerst feststellen, ein wie großer Teil des Einkommens des Jahres 1911 dazu erforderlich war, um diegleiche Lebenshaltung wie im Jahre 1891 zu er-
26) Reichstagsdenkschrift zur Reichsfinanzreform, Bd. 1, S. 636. 27) Statistisches Handbuch für den Preußischen Staat, Bd. 4, S. 643.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 2
18 Arthur Friedmann,
zielen und wieviel Einkommensteile darüber hinaus im Jahre 1911 zur Verfügung standen. Die so bestimmte prozentuelle Steigerung bedeutet zwar noch kein entsprechendes Wachstum des Realeinkommens. Wir werden aber später zeigen, daß die tatsäch- liche Zunahme desselben nur um ein weniges größer ist.
Um zu bestimmen, ein wie großer Aufwand für einen gleichen Gesamtkonsum wie im Jahre 1891 nach den Preisen des Jahres. 1911 benötigt wurde, werden wir der Reihe nach die wichtigsten Bedarfsartikel unter Angabe des für dieselben im Jahre 1891 erforderten Aufwandes anführen und zugleich die bis zum Jahre 1911 erfolgten Preissteigerungen verzeichnen; aus diesen Daten wird sich ohne weiteres die durchschnittliche Verteuerung berechnen lassen. — Es bleibt vorläufig unberücksichtigt, daß im Jahre 1911 relativ mehr Waren in der Stadt, wo die Lebenshaltung teurer als auf dem Lande ist, konsumiert wurden und die Ver- teuerung der Lebenshaltung mithin größer war, als dies der durch- schnittlichen Preissteigerung an den einzelnen Orten entspricht. Wir werden auf diesen Gegenstand erst am Schlusse dieser Zusammen- stellung zurückkommen.
Bei den Verbrauchsberechnungen werden im allgemeinen die auf das Reich bezüglichen Daten benützt, die sich ohne erhebliche Fehler auf Preußen übertragen lassen. Eine Reihe von Angaben über Verbrauchsberechnungen basiert auf den Ergebnissen der vom Kais. Stat. Amte veranstalteten Erhebung von Wirtschaftsrechnungen minder- bemittelter Familien im Deutschen Reiche), die wir im folgenden kurz als Reichserhebung bezeichnen. Diese im Jahre 1907 angestellten Untersuchungen, die sich auf insgesamt 852 Familien erstrecken, passen insofern einigermaßen auf die Verhältnisse des Jahres 1891, als das Durchschnittseinkommen der Gesamtbevölkerung im Jahre 1891/92 (von 396 M.) nur 12 % geringer war als das Durchschnittseinkommen der bei der Reichserhebung berücksichtig- ten Personen (das abzüglich Schuldzinsen, Steuern, Versicherungs- beiträge, Erwerbskosten ca. 451 M. betrug). Die Zahlen der Reichs- erhebung sind im folgenden um 12% reduziert, die tatsächlich von der Reichserhebung gegebenen Ziffern sind in Klammern beigefügt. Aus mancherlei Gründen sind aber die von der Reichserhebung ge- gebenen Zahlen nur mit Vorsicht zu verwerten, insbesondere nimmt. die Erhebung auf die Verhältnisse des Landes, wo der relative Auf- wand für die verschiedenen Bedarfsartikel erheblich von dem in der Stadt abweicht, kaum Rücksicht. — Zur Bestimmung der Groß- handelspreise werden häufig die Angaben in den Vierteljahrsheften zur Statistik des Deutschen Reiches herangezogen ; den Kleinhandels- preisen liegen meist die von der Statistik des Preußischen Statisti- schen Landesamtes gegebenen Zahlen zugrunde. Die Angaben dieser Statistik, im folgenden kurz Preußische Statistik genannt, sind darum nicht einwandfrei verwendbar, weil die Erhebungs- methode seit dem Jahre 1909 geändert wurde, insbesondere wurden
28) Reichsarbeitsblatt, 2. Sonderheft, 1909.
Die Wobhlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 19
früher Mittelpreise, nach dem Jahre 1909 häufigste Preise verzeichnet, auch beziehen sich die Angaben wesentlich nur auf städtische Verhältnisse.
Wir beginnen mit den Ausgaben für Nahrungsmittel und verzeichnen zuerst die für Fleisch gemachten Aufwendungen.
In der Reichstagsdenkschrift zur Reichsfinanzreform wurde der Fleischverbrauch in Deutschland auf Grund der Statistik der Vieh- schlachtungen für das Jahr 1906 auf 46 kg pro Kopf geschätzt. Ballod® glaubt, daß die wirklichen Werte etwas niedriger sind. Die sächsische Statistik, die sich auf Aufzeichnungen der Steuer- behörden stützt, gibt 1885 32,4 kg Fleischverbrauch pro Kopf, 1903 43,1kg an. Danach läßt sich der durchschnittliche Fleischver- brauch in Preußen für das Jahr 1891 auf ungefähr 37 kg schätzen, wovon nach den von der Reichsstatistik für das Jahr 1906 gegebenen Verhältniszahlen®) ca. 19,7 kg auf Schweinefleisch, ca. 10,9 kg auf Rindfleisch, 2,4 kg auf Kalbfleisch, 0,9 kg auf Hammelfleisch und 3,1 kg auf anderes Fleisch kämen). Der Detailverkaufswert dieser Mengen betrug für Schweinefleisch ca. 20 M., für Rindfleisch ca. 12 M., für Kalbfleisch 2,4 M., für Hammelfleisch 1 M., für anderes Fleisch ca. 3 M., insgesamt 38,60 M. Diese Zahlen sind nach den Preisangaben der Preußischen Statistik berechnet, doch wurde speziell bei Schweinefleisch berücksichtigt, daß ein erheblicher Teil desselben in der eigenen Wirtschaft konsumiert wird und der Preis entsprechend niedriger angesetzt. (Nach der Reichserhe- bung bezifferte sich der Gesamtverbrauch an Fleisch, Wurst, Schin- ken, Speck, Fetten [allerdings einschließlich Pflanzenfette] auf 55 M. [62 M.]). — Die Preissteigerung des Schweinefleischs betrug nach der Preußischen Statistik von 1891—1911 14,60%. Für den Schweine- konsum auf dem Lande ist, besonders bei Deckung des Bedarfs aus der eigenen Wirtschaft, eher die Steigerung der Großhandels- preise maßgebend, die sich (in Berlin) auf 11,9 oa belief®). Wir können danach eine durchschnittliche Steigerung von 130% an- nehmen. Die Verteuerung des Rindfleisches betrug für die gleiche Zeit nach der Preußischen Statistik 29,7 oa (die Großhandelspreise stiegen um 27,80%0)32). Die Kalbfleischpreise erhöhten sich um 54,2 %, die Hammelfleischpreise um 40 %. Dabei können die Preise
29) Festschrift für G. v. Mayr, Bd. 2, S. 614.
30) Denkschrift zur Reichsfinanzreform, Bd. 3, S. 76.
31) In der Tat war der Konsum an Rindfleisch 1891 größer, der Konsum an Schweinefleisch geringer, als diese nach den Verhältniszahlen für das Jahr 1906 berechneten Ziffern besagen, da die Zahl der Schweine von 1891—1906 sehr viel stärker als die Zahl der Rinder zunahm und die Schweinefleisch- preise entsprechend weniger stiegen. Trotzdem legen wir diese für das Jahr 1906 geltenden Verhältniszahlen zugrunde und berechnen so für das Fleisch ins- gesamt eine etwas geringere Preissteigerung, weil die früheren Konsumenten des Rindfleisches, die bei der geringeren Steigerung des Schweinefleisches Schweine- fleisch statt Rindfleisch verzehren, durch dessen Preissteigerung verhältnismäßig weniger betroffen werden (vgl. später 8. 38).
32) Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs.
KA
20: Arthur Friedmann,
von 1911 nicht als abnorm hoch bezeichnet werden, die Fleischpreise des Jahres 1912 stellten sich noch erheblich höher. Für das hier nicht im einzelnen berücksichtigte Fleisch (Wild, Geflügel, Roß- fleisch) fehlen umfassende statistische Angaben. Wahrscheinlich ist auch dies Fleisch erheblich teurer geworden. Nach Angaben eines Hamburger Wild- und Geflügelhändlers ist der Preis der wich- tigsten Wild- und Geflügelarten heute 20—25 ou höher als vor 20 Jahren. Ein städtischer Verkaufsvermittler für Wild und Geflügel in Berlin schätzt die Preissteigerung für Geflügel auf 20 oe, für Wild auf 20—30 %, für geringere Qualitäten wäre eine geringere Verteuerung eingetreten. Nach den Aufzeichnungen in den statisti- schen Jahrbüchern der Stadt Berlin war der Preis für Wild im Jahre 1910 im allgemeinen merklich höher als im Jahre 1896, da- gegen der Preis des Geflügels ziemlich unverändert. Wir rechnen für dieses hier nicht im einzelnen berücksichtigte Fleisch von 1891 bis 1911 eine Preissteigerung von 15 %.
Der Brot- und Mehlverbrauch des Jahres 1891 läßt sich unter Zugrundelegung der von der Reichsstatistik für den Weizen- und Roggenkonsum gegebenen Zahlen unter Umrechnung auf Mehl und Brot auf ungefähr 22,50 M. für Weizenmehl und Weizenbrot und. auf 23 M. für Roggenmehl und Roggenbrot schätzen ®). Diese Schätzung ist besonders deshalb unzuverlässig, weil die im Jahre 1891 gezahlten Brotpreise nur schwer zu ermitteln sind. Für die Mehlpreise wurden die Zahlen der Preußischen Statistik berück- sichtigt, für Roggenbrot die Angaben im statistischen Jahrbuch deutscher Städte. Es wurden aber, in Anbetracht der niedrigeren Brotpreise auf dem Lande, besonders bei Befriedigung des Bedarfs aus der eigenen Wirtschaft, etwas geringere Werte in Anschlag ge- bracht. Da die Reichserhebung für Brot und Backwaren einen Ver- brauch von nur 31,30 (35,60) M. angibt, während wir hier einen Brotkonsum von 40 M. schätzten, und da bei der obigen Berechnung die als Viehfutter verwandten Getreidemengen nicht in Abzug ge- bracht wurden, wollen wir etwas niedrigere als die genannten Werte in Rechnung setzen, und zwar 21 M. für Weizenmehl und Weizen- brot und ebenso 21 M. für Roggenmehl und Roggenbrot. — Eine Gegenüberstellung der Preise in den Jahren 1891 und 1911 hätte darum nur wenig Wert, weil die Preise des Jahres 1891 wegen einer Mißernte ungewöhnlich hoch waren, wie dies ohne weiteres aus einem Vergleich der in den letzten Jahrzehnten verzeichneten Getreide-
33) Der Weizenkonsum betrug 1891 etwa 80 kg pro Kopf. (Die in der Statistik angegebenen 69,5 kg müssen nach den Angaben im Denkschriften- band III zur Finanzreform S. 62 um etwa 1500 erhöht werden.) 80 kg Weizen entsprechen ungefähr 60 kg Weizenmehl oder: 62 kg Brot (19 M.) + 10 kg Mehl (3,50 Mi Der Roggenkonsum betrug 108 kg (93,8 kg zuzüglich 15%), ent- sprechend 81 kg Mehl oder: 100 kg Brot (21 M.) + 6kg Mehl (2 M.). Die Roggenmengen, die als Viehfutter dienen, sind schwer zu schätzen; dieselben wurden hier nicht in Abzug gebracht. Die für die Branntweingewinnung und die Stärkefabrikation verwandten Getreidemengen sind relativ unbedeutend.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 21
und Mehlpreise ersichtlich ist). Wir rechnen statt der Preise des Jahres 1891 den Durchschnitt der Preise der Jahre 1890 und 1892, die ihrerseits im Vergleich zu den Vor- und Nachjahren eher hoch als niedrig waren. Unter dieser Annahme beträgt die Preis- steigerung bis zum Jahre 1911 für Weizen (Großhandelspreise nach der Preußischen Statistik) Di: ou, für Weizenmehl (Klein- handelspreise) 9%; die Großhandelspreise des Roggens nahmen hingegen um 5,7%, die Roggenmehlpreise um 5% ab. Die Weizenbrotpreise stiegen in Berlin von 1891—1910 um 15,4 oan die Roggenbrotpreise nahmen nach den Aufzeichnungen im sta- tistischen Jahrbuch deutscher Städte von 1891—1910 in 11 großen Städten im Durchschnitt um 5,8 %, in verschiedenen Städten aller- dings in sehr verschiedenem Umfange, zu. Die Brotpreise des Jahres 1911 waren bei den wenig veränderten Mehlpreisen von denen des Jahres 1910 wahrscheinlich wenig verschieden. Gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 1890 und 1892 erhöhten sich die Roggen- brotpreise im Jahre 1910 um 14,8%. Nach einer von Brutzer°®) wiedergegebenen Berechnung macht der Preis des verwandten Mehles beim Roggenbrot nur etwa Zi, beim Weizenbrot nicht einmal die Hälfte des Brotpreises aus. Da die allgemeinen Unkosten, speziell die Löhne, höher geworden sind, ist ein stärkeres Anziehen der Brotpreise im Vergleich zu den Mehlpreisen verständlich. Brutzer weist diese Verhältnisse speziell für Berlin nach. — Nach den im vorangegangenen gegebenen Zahlen schätzen wir die Preissteige- rung für Weizenbrot und Weizenmehl von 1891 —1911 auf 11% und für Roggenbrot und Roggenmehl auf 8 %o (wobei statt der Preise des Jahres 1891 der Durchschnittspreis der Jahre 1890 und 1892 berücksichtigt wurde); es ist ersichtlich, daß diese Schätzung nur sehr bedingten Wert hat.
Wenn wir hier statt der Brotpreise des Jahres 1891 solche Preise in Anschlag brachten, wie sie in einem normalen Erntejahr zu erwarten gewesen wären, so war solches nur unter der Voraus- setzung zulässig, daß die Landwirte in einem normalen Jahre trotz niedrigerer Preise kein geringeres Einkommen erzielt hätten; haben wir doch in dem Gesamteinkommen des Jahres 1891 auch das wirk- lich erzielte Einkommen der Landwirte in Rechnung gestellt. Aus einem Vergleich der Getreideproduktion und der Getreidepreise des Jahres 1891 mit den vorangegangenen und folgenden Jahren ergibt sich in der Tat, daß die Landwirte im Jahre 1891 aus dem Getreide- verkauf jedenfalls keine merklich höheren Einnahmen als in normalen Jahren hatten.
Wir kommen nunmehr zur Berechnung des Verbrauchs von Milch, Butter und Käse im Jahre 1891. Die Reichserhebung
34) Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat, Bd. 10, S. 304. 35) Statistische Jahrbücher der Stadt Berlin. 36) Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 139 A 2, 8. 28.
22 Arthur Friedmann,
gibt einen Verbrauch von 115 Litern Milch, 8 kg Butter und 3,5 kg Käse an (unreduzierte Werte) ). Fleischmann) schätzt nach den Angaben über die Höhe des Milchkonsums in mehr als 100 Städten einen durchschnittlichen Verbrauch von 140 Liter Milch, 7,7 kg Butter und 1,4 kg Käse (1910). Für das Jahr 1891 mögen 125 Liter Milch (16 M.) 8 kg Butter (16 M.) und 3 kg Käse (3 M.) nicht zu hoch gegriffen sein. Wenn 'wir diese Werte in Milch um- rechneu (1 kg Butter = 27 Liter Milch), so erhalten wir für das Reich unter Hinzurechnung der für die Kälberaufzucht verwandten Milch eine Gesamtmilchproduktion von höchstens 19 Milliarden Liter). Da die Viehzählung von 1892 fast 10 Mill. Kühe nachwies, kämen auf die Kuh 1900 Liter pro Jahr, ein Wert, der für 1891 un- gefähr zutreffen mag. — Von 1891—1911 stieg der Butterpreis nach der Preußischen Statistik um 25,9 %. Da der Butterpreis im Jahre 1911 wegen der Dürre relativ hoch war, rechnen wir statt dessen den Durchschnittspreis der Jahre 1909—1911 und erhalten dann eine Preissteigerung von 21,8%. Für Milchpreise fehlt eine um- fassende Statistik; man könnte aber eine ähnliche Preissteigerung wie für Butter vermuten. Nach den wenigen Angaben, die mir über Milchpreise bekannt sind, ist die Verteuerung der Milch eher etwas geringer gewesen. In Berlin#) stieg der Preis um ca. 15%, in Dresden 9 3 um 10%, in Frankfurt a. M. um ca. 20 0/42), in Bres- lau) (bis 1910) um 13 %. In den größeren badischen Städten er- höhte sich der Milchpreis von 1897—1910 im Durchschnitt um 22,7 0/04); von 1891—1907 mögen die Milchpreise kaum gestiegen sein, die Butterpreise gingen während dieser Zeit etwas zurück. In Hamburg hatten die Händler 1911 11% (1912/13 20 %) mehr für die Milch zu zahlen als 189145). Wir rechnen für Milch, Butter und Käse im Durchschnitt eine Steigerung von 19 %.
Für die Berechnung des Kartoffelkonsums stützen wir uns wiederum auf die Ergebnisse der Reichserhebung, die für das Jahr 1907 einen durchschnittlichen Verbrauch von 6 M. (7 M.) ver- zeichnet. Auf dem Lande ist der Kartoffelkonsum größer, anderer-
37) 1. c. S. 69.
38) Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 6, 3. Auflage, Milchwirt- schaft und Molkereiwesen, 8. 703.
39) Die Differenz der Einfuhr und Ausfuhr von Molkereiprodukten war 1891 nur gering und kann gegenüber der einheimischen Milchproduktion ver- nachlässigt werden.
40) Nach Brutzer (Meierei Bolle) 1891 20 Pf., 1907 22 Pf., nach der Preußischen Statistik 1910 22 Pf., 1911 23 Pf.
41) Statistische Jahrbücher der Stadt Dresden.
42) Beiträge zur Statistik der Stadt Frankfurt a. M., N. F., Heft 10.
43) Breslauer Statistik, Bd. 15 und 31.
44) Statistische Mitteilungen über das Großherzogtum Baden, 1910, N. F., Bd. 3, S. 142, bzw. 1911, S.4, zitiert aus Berg: Die Milchversorgung der Stadt Karlsruhe, Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 140 I, S. 135.
45) Nach Mitteilung des Zentralvereins der Milchproduzenten für Ham- burg, die sich allerdings zum Teil nur auf die Aufzeichnungen eines Händ- lers stützen. S
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 23
seits ist aber bei Deckung des Bedarfs aus der eigenen Wirtschaft der in Ansatz zu bringende Preis erheblich niedriger. Auch für das Jahr 1891 mag ungefähr ein Durchschnittsaufwand von 6 M. zu- treffen. (In diesem Jahre war der Kartoffelkonsum außerordentlich gering, der Kartoffelpreis aber entsprechend hoch.) — Wegen der ungewöhnlich hohen Kartoffelpreise in den beiden Vergleichsjahren lassen sich die in diesen Jahren gezahlten Preise zur Ermittlung der Preissteigerung nicht ohne weiteres verwenden. Die Großhandels- preise waren 1911 6,4% niedriger als 1891), die Kleinhandels- preise nach der Preußischen Statistik 40% höher (10 Pf. statt 7 Pf. pro Kilogramm). Im Durchschnitt der Jahre 1901—1910 waren die Großhandelspreise ca. D oe, die Kleinhandelspreise 13 Ou höher als im Durchschnitt der Jahre 1891—1900. Wir wollen die Preissteigerung der Kartoffeln für die 20 Jahre auf 15% veran- schlagen.
Der Eierverbrauch stellte sich nach der Reichserhebung 1907 auf 6 M. (6,75 M.) pro Kopf. Im Jahre 1891 waren die Eierpreise erheblich niedriger als 1907, so daß wir einen Aufwand von 5 M. in Rechnung setzen. Die Preissteigerung von 1891—1911 betrug nach der Preußischen Statistik 33 oa.
Für den Zuckerkonsum gibt die Reichserhebung 5 M. (5,7 M.) pro Kopf an. Der Zucker ist in den letzten 20 Jahren sehr viel billiger geworden. Die Reichsstatistik verzeichnet 1911 einen 25 %o geringeren Preis als 1891, betont aber, daß die Zahlen nicht ver- gleichbar sind. Nach den Angaben der statistischen Jahrbücher der Stadt Berlin war der Zucker 1910 20—30 % billiger als 1891.
Der Kaffeekonsum betrug nach der Statistik des Reiches 1891 2,4 kg pro Kopf, also ca. 7,2 M. Trotz der inzwischen statt- gehabten Zollerhöhung ist der Kaffeepreis 1911 eher billiger als 1891 gewesen. Die Großhandelspreise dreier verschiedener Kaffee- sorten waren nach den Angaben in den Vierteljahrsheften zur Sta- tistik des Deutschen Reichs 1911 8% billiger als 1891.
Der Bierkonsum im Brausteuergebiet bezifferte sich im Jahre 1891 auf ca. 80 Liter pro Kopf. Bei einem Bierpreise von 26 Pf. das Liter (es sind die Kleinverkaufs- und die Ausschankpreise zu berücksichtigen), wäre dies ein Gesamtaufwand von 21 M. Das Bier ist infolge der Steuererhöhungen sicher merklich teuerer ge- worden. Die Steuer allein betrug 1911 2,2 Pf. mehr pro Liter als 1891, das sind ca. Bi % des früheren Preises. Aus den Angaben der Reichsstatistik4) ist zwar eine gewisse Steigerung der Bier- preise zu entnehmen, die absolute Höhe der Steigerung läßt sich aber nach den gegebenen Daten nicht abschätzen. In Leipzig stiegen die Ausschankpreise infolge der Steuererhöhungen der Jahre 1906 und
46) Berechnet nach den Preisangaben über fünf verschiedene Kartoffel- sorten in den Vierteljahrsheften zur Statistik des Deutschen Reichs.
47) Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs, 1892, IV, S. 105, und 1912 IV, 8. 189.
24 Arthur Friedmann,
1909 um 20—25 0/48), auch sonst scheint in Norddeutschland eine Preissteigerung von ähnlichem Umfange stattgefunden zu haben, während die Verteuerung des Bieres in Süddeutschland etwas ge- ringer war“). Wir rechnen eine Verteuerung des Bieres von 17 oo,
Der Branntweinkonsum betrug im Jahre 1891 im Brannt- weinsteuergebiet 4,4 Liter oder bei einem durchschnittlichen Aus- schankpreis von 1,50 M. pro Liter 6,50 M. pro Kopf. Die Preis- steigerung läßt sich aus einem Vergleich der von der Reichsstatistik gegebenen Branntweinpreise in verschiedenen Orten auf 20—50 Oe veranschlagen 5°),
Den Aufwand an Zigarren, Zigaretten und sonstigen Tabak- fabrikaten schätzen wir nach der Menge des konsumierten Roh- tabaks. Im Jahre 1891 kamen 1,5 kg Rohtabak auf den Kopf der Bevölkerung; der Wert der hieraus hergestellten Tabakfabrikate dürfte 1891 im Kleinverkauf ca. 12 M. betragen haben’!). Der Tabak ist in den letzten 20 Jahren merklich teuerer geworden, nach einem Vergleich der von der Reichsstatistik angeführten Preise verschiedener Tabaksorten um 25—45 %. Hinzu kommt die Steige- rung der Steuern und Zölle, die sich für 1,5 kg Rohtabak auf 1 M. bis 1,50 M. belief und allein eine Verteuerung der Tabakfabrikate um 7—10%o ihres früheren Wertes bewirkte. Nach Angaben eines Hamburger Zigarrenfabrikanten sind gleichwertige Zigarren heute durchweg 25% teuerer als vor 20 Jahren.
In der bisherigen Zusammenstellung sind die wichtigsten Nah- rungs- und Genußmittel enthalten. Es fehlen insbesondere noch Gemüse, Hülsenfrüchte und Obst (zusammen ca. 9 M. 1891), Pflanzenfette, Fische, Salz (1 M. und Wein (ca. 3 MA Wir wollen den Gesamtwert dieser und der sonst noch fehlenden Nahrungsmittel auf Grund der Angaben der Reichserhebung auf 22 M. pro Kopf veranschlagen. — Hülsenfrüchte sind in den letzten 20 Jahren eher teuerer geworden. Nach der Preußischen Statistik waren Kocherbsen 1911 41% teurer als 1891, weiße Bohnen 28 oe teurer und Linsen 12% billiger. — Die Gemüsepreise waren in Berlin nach den Angaben in den statistischen Jahrbüchern 1910 niedriger als 1891. Im Durchschnitt der Jahre 1901—1910 stellten sich die Preise der Kohlrüben ungefähr gleich hoch wie im Durch- schnitt der Jahre 1891—1900, der Preis des Kohlrabis etwas niedri- ger und des Savoyenkohls etwas höher. Im Jahre 1911 mochte der
48) Nach einer Mitteilung des Vereins der Brauereien des Leipziger Bezirks.
49) Nach Angaben des offiziellen Organs des Deutschen Brauerbundes.
50) Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs, 1892 II, S. 87, und 1912 LS 304.
51) Nach einer im Denkschriftenband 3 zur Finanzreform wiedergegebenen Statistik kommt der größte Teil des Tabakkonsums auf Zigarren (121 Stück) und Rauchtabak (0,45 kg). Zigaretten spielen nur eine untergeordnete Rolle. — Man rechnet auf 1 kg Rohtabak 125 Zigarren und den Durchschnittspreis der Zigarren heute auf 7 Pf. Unter alleiniger Umrechnung auf Zigarren würden 1,5 kg Rohtabak einen Detailverkaufswert von 13 M. haben. Der Wert der aus der gleichen Menge Rohtabak hergestellten Zigaretten ist erheblich höher.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 25
Gemüsepreis infolge der herrschenden Trockenheit ausnahmsweise etwas höher gewesen sein. — Reis war 1911 nach der Preußischen Statistik ein wenig billiger als 1891. — Wein ist erheblich im Preise gestiegen. Nach der Mitteilung eines Fachblattes ist billiger Wein 1911 fast 80 %0 teurer als 1891 gewesen. Allerdings sind die Preise je nach der Weinernte starken Schwankungen unterworfen. — Salz war 1911 etwa 10 0o teurer als 1891 (Statistische Jahrbücher der Stadt Berlin). — Der Preis der Heringe schwankte im Laufe der Jahre stark und war 1911 4 % niedriger als 1891 5°). — Wir schätzen für diese hier nicht näher besprochenen Nahrungsmittel eine durch- schnittliche Preissteigerung von 10 0%.
Die Ausgaben in Gastwirtschaften berechnen wir nicht gesondert. Bei den alkoholischen Getränken wurden bereits die Aus- schankpreise mitberücksichtigt. Der Preisaufschlag für den Speise- konsum in den Gastwirtschaften ist bei dem relativ geringen Auf- wand nicht von Belang. Die Familien, auf die die Reichserhebung Bezug nimmt, verspeisten in Gastwirtschaften nur 4 M. pro Kopf. Der durchschnittliche Aufwand wird allerdings etwas größer E da alleinstehende Personen mehr in Speisewirtschaften ver- zehren.
Nach den hier gegebenen Schätzungen würden sich die Aus- gaben für Nahrungsmittel im Jahre 1891 auf 203,7 M. pro Kopf gestellt haben. Dies wären, wie die folgenden Berechnungen ergeben, 50,6% des Gesamtaufwandes.. Nach der Reichserhebung betrug der Aufwand für Nahrungsmittel 48,6% des Einkommens, wenn dort ebenso wie bei der vorliegenden Berechnung Steuern, Versiche- rungsbeiträge etc. vom Einkommen in Abzug gebracht werden.
Wir kommen nunmehr zu dem nächst der Nahrung wichtigsten Ausgabeposten, der Wohnungsmiete. Die durchschnittliche Miet- höhe läßt sich nach den Angaben einzelner Städte über das Ver- hältnis von Wohnungsmiete und Einkommen bestimmen. In einer größeren Anzahl deutscher Großstädte betrug dies Verhältnis nach den diesbezüglichen Ermittlungen 17—22%, im Durchschnitt ca. 18—19 ua za, Diese Verhältniszahl ist aber darum eher zu hoch ge- griffen, weil das Einkommen häufig zu niedrig angegeben wird, da- gegen die Miete nicht. Speziell ist nicht überall das Einkommen der mitverdienenden Familienmitglieder berücksichtigt, auch bezieht sich
festgestellte Verhältnis von Miete und Einkommen nur auf Haus-
tungsvorstände. Bei alleinstehenden Personen, die in Untermiete wohnen, ist das Verhältnis günstiger. In Berlin geben beispielsweise m Aftermiete wohnende Personen nur ca. 10% ihres Einkommens für Wohnungsmiete aus. — In kleineren Städten wird relativ weniger die Wohnung aufgewandt. In einer Anzahl sächsischer Klein-
52) Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs.
53) Vierteljahrsberichte des Statistischen Amtes der Stadt Schöneberg, 1910 I, 8. 45.
26 Arthur Friedmann,
und Mittelstädte wurde das Verhältnis von Einkommen zu Miete nur zu ca. 12% angegeben 5). Auf dem Lande, wo bei eigenem Besitz des Hauses an Stelle der Miete ein dem Werte und den Unterhal- tungskosten des Hauses entsprechender Betrag in Rechnung zu setzen ist, mag die Miete kaum höher als zu 10% des Einkommens zu veranschlagen sein. Im Jahre 1890 wohnten 13 % der Bevölkerung in Großstädten, 26 % in Mittel- und Kleinstädten und 61 % auf dem Lande. Wir schätzen danach den durchschnittlichen Aufwand für Wohnungsmiete auf 11—12 % des Durchschnittseinkommens oder auf 46 M.
Was nun die Wandlung der Mietpreise in den letzten beiden Jahrzehnten anbetrifft, so wäre eine Steigerung derselben schon mit Rücksicht auf die Erhöhung der Baukosten anzunehmen. Wenn auch die Materialpreise anscheinend 1911 nicht wesentlich höher als 1891 gewesen sind, so sind doch die Arbeitslöhne, die ungefähr ein Drittel der Baukosten ausmachen, sehr stark gestiegen. Die Steigerung der Löhne hat durch die verbesserte Bautechnik und die weitergehenden Arbeitsteilungen nicht ausgeglichen werden können. Bei Beurteilung des Einflusses der Baukosten ist allerdings zu be- rücksichtigen, daß die neuerstellten Wohnungen nur immer einen kleinen Teil aller Wohnungen ausmachen. — Einen wesentlichen Einfluß auf den Stand der Mietpreise hat weiterhin die Höhe des allgemeinen Zinsfußes, speziell des Hypothekenzinsfußes. Der teuere Geldstand der letzten Jahre hat mit zu der Steigerung der Mieten beigetragen. Endlich hat speziell in den großen Städten die Er- höhung der Bodenwerte auf eine Steigerung der Mieten hingewirkt.
Es sollen hier die vorliegenden Angaben über die in der Zeit von 1891—1911 erfolgten Mietssteigerungen in den Städten zu- sammengestellt werden und bei dem relativ geringen vorhandenen Material auch die Daten für nicht-preußische Städte genannt werden.
Ich beginne mit denjenigen Städten, für die die Mietpreise für die vollen 20 Jahre verzeichnet wurden.
In Hamburg werden E die Mietsteigerungen und Mietermäßi- gungen ermittelt. Aus den diesbezüglichen Angaben 55) läßt sich berechnen, daß er Mietpreis der gleichen Wohnungen von 1892 bis 1912 um 4°/, zuge- nommen hat (bis zum Jahre 1897 hatte der Mietpreis um 1°/, abgenommen). Da dieselbe Wohnung in 20 Jahren im Durchschnitt erheblich minderwertiger geworden ist, ist die tatsächliche Mietsteigerung gleichwertiger Wohnungen sehr viel höher und auf mindestens 10°/, zu veranschlagen. In Altona stieg der Mietpreis für 1-, 2- und 3-Zimmerwohnungen, die insgesamt über fünf Sechstel aller Wohnungen ausmachten, von 1890—1910 um 21, 9 und 8°/,5°). Diese, sowie die meisten nachfolgenden Angaben beziehen sich, im Gegensatz zur Hamburger Statistik, auf die Mietpreise aller, also auch der (inzwischen neu hinzugekommenen Wohnungen. In diesen Fällen kommt also bei der er- mittelten Mietsteigerung auch die K eegene zum Ausdruck, welche die Wohnungen in dem 20 jährigen Zeitraum erfahren haben. In Berlin blieb
54) Ebenda.
65) Statistik des Hamburgischen Staates, Bd. 22, 1904, S. 90, und Oeffentl. Anzeiger, 1906—1913.
56) Verwaltungsbericht der Stadt Altona, 1863—1900, und direkte Mit- teilung des Statistischen Amtes.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 27
der Mietpreis von 1890—1900 ziemlich unverändert; bis 1910 stieg er in 1—3 Zimmerwohnungen, die weitaus den größten Teil aller Wohnungen ausmachten, um etwas mehr als 109057). In Breslau®) hat vom Jahre 1890—1910 die Durchschnittsmiete pm L- Bh 3 4- und 5-Zimmer- wohnungen um 22, 18, 10, 7 und 9% zugenommen ; 590% aller Woh- nungen waren 1-Zimmer-, über 80%% l- oder 2-Zimmerwohnungen. In Münchent’) ist der Durchschnittspreis aller Wohnungen von 1890—1895 um 0,9°/ọ von 1895—1900 um 10,8°/,, von 1900—1905 um 0,7 und von 1905 bis 1910 um 17,90/, gestiegen, im ganzen also um 28,5°/o Die durchschnitt- liche Zimmerzahl hat sich von 189 —1910 nicht derart verändert 6%), daß der durchschnittliche ei e gleichzimmeriger Wohnungen wesentlich mehr oder weniger als der urchschnitt aller Wohnungen SE hätte, dagegen mag auch hier die Beschaffenheit gleichzimmeriger Wohnungen etwas besser als 1890 gewesen sein, über 40°%/o der im Jahre 1910 vorhandenen Wohnungen waren in den letzten 20 Jahren neu errichtet. In Cöln wurde die Miete nur für die größere Hälfte aller Wohnungen fest estellt 61). Die Steigerung von 1890 bis 1910 betrug für 1-Zimmerwohnungen 1,40/,, für 2-, 3- und 4-Zimmer- wohnungen 25,0, 25,4 und 32,2, für BE Wohnungen 41,3°/o. 49°/, aller
schnittliche Steigerung kann also auf über 2500 geschätzt werden. In Magde- burg?) nahm von 1890—1910 der Mietpreis der Wohnungen mit einem heizbaren Zimmer um 270/,, der Wohnungen mit 2 heizbaren Zimmern um SC zu. Die 1-Zimmerwohnungen machten 1905 mehr als zwei Fünftel aller Wohnungen, die 1- und 2-Zimmerwohnungen zusammen mehr als zwei Drittel aller Wohnungen aus. Die 3-Zimmerwohnungen nahmen nur unbedeutend im Preise zu, während der Mietpreis der 4- un 5-Zimmerwohnungen im Preise zurückging. In Leipzig) stieg der Mietpreis für 1-, 2-, 3-, 4-, 5- und 6-Zimmerwohnungen in der gleichen Zeitspanne um 42, 25, 10,8, 11 und 16°/o- Da (1905) 60°/, aller Wohnungen 3-, 4- und 5-Zimmerwohnungen waren, können wir die durchschnittliche Mietsteigerung auf nicht viel mehr als 100%/ veranschlagen. In Dresden®) erfolgte in der Zeit von 1890—1910 nur eine relativ unbedeutende Erhöhung der Mieten. Die 1-, 2-, 3-, 4-, 5- und 6-Zimmer- wohnungen kosteten 1910 nur 27, 8, 5, 3, 11 und 170/, mehr als 1890. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die 3- und 4-Zimmerwohnungen, die die geringste Steigerung erfahren haben, fast zwei Drittel aller Wohnungen ausmachten. In Freiburg i. B. stieg nach Angaben des statistischen Amtes der Mietpreis der städtischen Kleinwohnungen von 1891—1913 um 10—17 ia im übrigen sind aber die Mietpreise für alle Wohnungsklassen im gleichen Zeitraum, um etwa 30°/,_ gestiegen. In Lübeck war der Mietpreis einer Wohnung mit 1, 2, 3, 4 und heizbaren Zimmern 1910 um 48, 31, 22, 29 und 22°/, höher als 1890 (der durchschnittliche Mietpreis aller Wohnungen um 590/)65). In Herne i. W. stieg der Mietpreis nach Angaben des el Leg Haus- und Grund- besitzervereins für 2- und 3-Zimmerwohnungen (die Küche wird als Wohn- raum gerechnet) von 1891—1913 um gut 15 d
ür Frankfurt a. M. er Angaben über die Zeit von 1895—1910, für Königsberg i. Pr. über die Jahre 1895—1912 vor. In Frankfurt a. M. gibt
en
59) Veröffentlichungen des Statistischen Amtes der Stadt München. Der Wobnungsmarkt in München, S. 13.
60) 1. c. 8. 4
61) Statistisches Jahrbuch der Stadt Cöln für 1912, S. 161.
62) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes.
63) Die Ergebnisse der Volkszählung vom 1. Dezember 1905 in der Stadt Leipzig, 3. Teil, S. 49 (1910 nach direkter Mitteilung des Statistischen Amtes).
64) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes.
65) Grundstücks-, Gebäude- und Wohnungsstatistik der Stadt Lübeck nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910, bearbeitet vom Statistischen Amte.
28 Arthur Friedmann,
die Statistik eine sehr erhebliche Preissteigerung der Mieten an66), für 4- Zimmerwohnungen von über 20°/,, für 3-Zimmerwohnungen von fast 25°/,, für 2-Zimmerwohnungen von über 30°/, und für 1-Zimmerwohnungen eine ge- ringe Steigerung. Der Bericht des statistischen Amtes hebt aber hervor, daß an dieser Preissteigerung auch die Qualitätsverbesserungen der Wohnungen schuld seien. In Königsberg i. Pr. nahmen nach einer direkten Mitteilung des statistischen Amtes die Mietpreise leerstehender Wohnungen von 1895 bis 1912, besonders in den letzten beiden Jahren, sehr stark zu, für Wohnungen mit 1—3 heizbaren Zimmern um ca. 60°/,.. Da aber die durchschnittliche
ualität leerstehender Wohnungen erheblich von der Zahl der SCH neu er- richteten Wohnungen abhängt, gestattet diese Zahl keinen zuverlässigen Schluß auf die Mietpreissteigerungen gleichwertiger Wohnungen.
Eine Reihe von Städten macht Mitteilungen über die Entwicklung der Mieten während eines kürzeren Zeitraums: In Neukölln) stieg der Mietwert für 1- und 2-Zimmerwohnungen, die hier allein in Betracht kommen, von 1900 bis 1910 um 27 bzw. 31°/,. Die Mietsteigerung ist aber zum guten Teile auf den vermehrten Komfort der Wohnungen zurückzuführen ; der größere Teil aller Wohnungen war in den letzten 10 Jahren neu errichtet. Aehnliches mag für Charlottenburg®®) gelten, wo der Mietzins der l- und 2-Zimmer- wohnungen von 1900—1910 um ca. 30, für größere Wohnungen um ca. 20°/, stieg. Auch von 1895—1900 hatte eine erhebliche Mietsteigerung stattgefunden. Die Angaben sind allerdings nur durch die Beobachtung einer beschränkten An- zahl von Wohnungen gewonnen. Sehr stark war wiederum die Mietsteigerung in Straßburg i. E., wo sich der Durchschnittsmietwert der leerstehenden Wohnungen mit 1, 2 und 3 Zimmern von 1900—1912 um 40, 28 und 22 fo der Mietwert der 4-, 5- und 6-Zimmerwohnungen um ca. 50°/, erhöhte ®). Dagegen betrug in Hannover die Miete eines heizbaren Zimmers 1910 nur ebensoviel wie im Jahre 1900 ech 5°/, mehr als 1905). Vor dem Jahre 1900 waren die Mieten anscheinend billiger’). In Essen!) stieg der durchschnitt- liche Mietwert eines Wohnraums von 1900—1910 um 15,6°/,, während in Mannheim in der gleichen Zeit die Mietpreise für 1- bis 3-Zimmerwoh- nungen um ca. 15°/, zunahmen. In größeren Wohnungen wurde hier der Miet- preis allein von 1905—1910 um ca. 10°/, erhöht??). In Stuttgart‘3) war der eer En der leerstehenden Wohnungen mit 1—4 Zimmern im Jahre 1912 12—17°/, höher als 1903. Es ist aber hier wiederum aus den vorliegenden Angaben nicht zu ersehen, ob der relative Anteil der neu errich- teten Wohnungen in beiden Jahren gleich war. — In Kiel stieg der durch- schnittliche Mietpreis für 1—3-Zimmerwohnungen von 1903—1910 um ca. 10°/,, während der Mietpreis größerer Wohnungen nur weniger zunahm. Allein von 1905—1910 erhöhte sich der Mietpreis für 1 heizbares Zimmer um 7,2°%/, 4). Für die Stadt Düsseldorf?5) stellte sich der durchschnittliche Mietpreis eines Wohnraumes im Jahre 1910 um 5°/, höher als im Jahre 1905, unter Außer- achtlassung der seit 1905 eingemeindeten Vororte um 17%. In Barmen'®) stieg der Mietpreis leerstehender Wohnungen von 1900—1912 um 10—20°/,. In Görlitz erhöhte sich der Mietpreis der 1—3-Zimmerwohnungen von 1908
66) Beiträge zur Statistik der Stadt Frankfurt a. M., N. F., Heft 10.
67) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes.
68) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes.
69) Beitrag zur Statistik der Stadt Straßburg, hrsg. von dem Sta- tistischen Amte der Stadt, Heft 12.
70) Statitistische Monatsberichte der Stadt Hannover, 1911 III, S. 22.
71) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes. d 72) Ergebnisse der Mannheimer Volkszählung vom 1. Dezember 1910, . 39.
73) Jährliche Veröffentlichungen im Amts- und Anzeigeblatt der Stadt Stuttgart.
74) Mitteilungen des statistischen Amtes der Stadt Kiel, No. 18.
75) Mitteilungen zur Statistik der Stadt Düsseldorf, No. 8.
76) Beiträge zur Statistik der Stadt Barmen, Heft 6.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 29
bis 1910 um 10% ??), hingegen bleiben in Wiesbaden die Wohnungsmieten für 1—4-Zimmerwohnungen von 1907—1912 fast unverändert”®). In Chem- nitz kostete die leerstehende Wohnung mit 1, 2, 3, 4 und 5 Zimmern 1911 Wi 13, 21, 18 und 23% mehr als 190679). Für Cassel lassen sich auf Grund der bisherigen Zählungen keine sicheren Schlüsse auf die Höhe der Miet- steigerung ziehen. Nach den Angaben des statistischen Amtes ist aber in den letzten Jahren eine Erhöhung der Mieten in weitem Umfange erfolgt.
Gestattet das vorliegende Material auch keine sichere Ab- schätzung der durchschnittlichen Mietsteigerung gleichwertiger Woh- nungen, so werden wir doch wenigstens für die großen Städte eine durchschnittliche Steigerung um annähernd 20 % in den letzten 20 Jahren vermuten dürfen. Auch für kleinere Ortschaften kann man, vor allem wegen Erhöhung der Baukosten, mit einer Vermehrung der Wohnkosten rechnen. Indessen dürfte diese Steigerung hinter derjenigen der großen Städte zurückbleiben, so daß wir für das ganze Land nur eine durchschnittliche Mietsteigerung von 16 % ver- anschlagen. Da wir uns nur für diegroßen Städte auf statistische Unter- lagen stützen können, und nur der kleinere Teil der Bevölkerung in diesen Städten wohnt, ist die genannte Ziffer wenig zuverlässig.
Im Anschluß an die Wohnungsmiete besprechen wir die Auf- wendungen für Heizung und Beleuchtung.
Die Ausgaben fürHeizung und Feuerung sind unter Zugrunde- legung der Daten der Reichserhebung (13,80 M.) auf etwa 13 M. zu schätzen. An Steinkohlen wurden im Jahre 1891 pro Kopf 1,39 t verbraucht. Wenn 25 % dieser Menge oder 0,35 t dem Hausbedarf dienten, so bedeutet dies bei einem Kleinverkaufspreis der Kohle von 3 M. pro Doppelzentner einen Aufwand von 10 M. Die Steinkohlen- preise zeigen nach den Angaben in den Vierteljahrsheften zur Sta- tistik des Deutschen Reichs vom Jahre 1891 bis zum Jahre 1911 eine ziemlich regelmäßige Steigerung. Eine Berechnung von etwa 10 verschiedenen Kohlensorten ergibt eine durchschnittliche Preis- erhöhung um 181/2 ois, — Auch das Brennholz ist nach fachmänni- schem Urteil erheblich teurer geworden. Die staatlichen Forsten er- zielten allerdings im Jahre 1910 für Brennholz keine höheren Preise als im Jahre 189180).
Für die Beleuchtung wurde nach der Reichserhebung pro Kopf 5 M. (5,76 M.) verausgabt. Der Verbrauch an Petroleum be- trug im Jahre 1891 pro Kopf der Bevölkerung ca. 13 kg, von denen wahrscheinlich der größte Teil dem Hausgebrauche diente. Der Aufwand belief sich also auf etwa 3 M. Die Petroleumpreise waren im Jahre 1911 ungefähr ebenso hoch wie im Jahre 1891. 5 ver- schiedene Sorten zeigen nach der Reichsstatistik eine durchschnitt- liche Steigerung um 1,8%. Im übrigen läßt sich bei der Verschieden-
77) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes.
78) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes.
79) Beilage zu den monatlichen Mitteilungen des Statistischen Amtes der Stadt Chemnitz, Jahrgang 9, No. 11.
80) Statistische Jahrbücher für Preußen.
30 Arthur Friedmann,
heit der im Jahre 1891 und heute üblichen Beleuchtungsmittel nur schwer bestimmen, ob eine gleichwertige Beleuchtung jetzt billiger als früher ist.
Nächst den Ausgaben für Nahrung und Wohnung sind die Aus- gaben für Kleidung am größten. Bei der Reichserhebung wurde ein durchschnittlicher Aufwand von 35 M. (40 M.) festgestellt, außerdem für Wäsche und Bettzeug ein Aufwand von 4,70 M. (5,30 M.). In der Tat sind die Ausgaben für Wäsche etwas bedeuten- der, weil ein großer Teil besonders der Hauswäsche, bei Gründung des Haushalts beschafft wird. Wir werden danach den Gesamtauf- wand für Kleidung und Wäsche 1891 auf 43 M. schätzen dürfen.
Die Kosten der Kleidung haben während der beiden letzten Jahrzehnte erheblich zugenommen. Teils lag dies an der Ver- teuerung der Rohstoffe: die Wollpreise schwankten zwar in den 20 Jahren stark, zeigten aber im ganzen eine steigende Tendenz; noch beträchlicher war die Steigerung für Baumwolle, die im Durchschnitt der Jahre 1900—1910 um 38 % teurer war als im Durchschnitt der Jahre 1891—190081). Infolge der Veryollkommnung der Weberei- betriebe haben sich die Preise der Kleidungsstoffe wenigstens nicht entsprechend der Steigerung der Rohstoffe erhöht8?). Hingegen ist die Verteuerung für fertige Kleider wieder erheblicher. Auch in der Konfektion konnten die gestiegenen Arbeitslöhne und die ver- mehrten Geschäftsspesen durchaus nicht durch die technischen Vor- züge der Teilarbeit ausgeglichen werden. Die Preissteigerung für gleichwertige Konfektion wird von den befragten Inhabern der Kon- fektionsgeschäfte und von sonstigen Fachleuten ziemlich überein- stimmend auf 20—25 % geschätzt. Es ist im besonderen noch zu berücksichtigen, daß sich vor 20 Jahren ein größerer Teil des Publi- kums die Kleider selbst anfertigte und so weniger Geld für die Be- schaffung von Stoffen und Zutaten als heute für die Beschaffung der Kleider verausgabte.
Die Haus- und Leibwäsche ist in ähnlichem Umfange wie die Kleidung teurer geworden. Die Steigerung wird von der Mehrzahl der Interessenten auf 25—30 % angegeben. Die detaillierte Auf- stellung einer großen Berliner Wäschefirma gibt für Stoffe eine Steigerung von gut 25 %, für fertige Gegenstände von durch- schnittlich 30 ou an. — Auch für Baumwollwaren ist ein ähnlicher Preisaufschlag wie für Leinenwäsche zu verzeichnen.
Für die Schuhbekleidung ist in Anbetracht der verschiedenen Qualität der vor 20 Jahren und heute hergestellten Waren nur
81) Nach den Preisangaben über drei verschiedene Baumwollsorten in den Vierteljahrsheften zur Statistik des Deutschen Reiches.
82) In betreff der Preisänderungen von Kleidern (Stoffen, Wäsche, Stiefel) und Wohnungseinrichtungen während der letzten beiden Jahrzehnte wurden jeweils eine größere Anzahl von Interessenten (insbesondere Fabrikanten, De- taillisten, Verbände und Fachzeitschriften) befragt, deren Angaben im folgenden verwertet wurden.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 31
schwer ein Vergleich angängig. Die Lederpreise sind sehr stark gestiegen, ebenfalls die Arbeitslöhne. Auf der anderen Seite haben die technischen Fortschritte eine weitgehende Ersparung von Ar- beitskräften möglich gemacht. Die Preissteigerung gleichwertiger Schuhwaren wird zu 15—40 % angegeben, auch die Verkaufspreise der minderwertigsten Sorten sollen sich erhöht haben. Nach Maß gefertigte Schuhe sind heute sehr viel teurer als vor 20 Jahren; auch die Reparaturkosten haben zugenommen, nach Ansicht eines Fachmannes um 20 %.
Ein relativ hoher Aufwand ist für die Beschaffung von Woh- nungseinrichtungen, insbesondere für Möbel erforderlich. Die Reichserhebung gibt allerdings den Aufwand für Wohnungseinrich- tung, are? einschließlich Reinigung und Instandhaltung der Woh- nung auf nur 13,70 M. (15,60 M.) an. Hier ist aber wiederum, wie bei den Aufwendungen für Wäsche, zu berücksichtigen, daß es sich bei der Reichserhebung um Familien handelt, die schon einen Haushalt gegründet hatten, während weitaus der größte Teil aller Aufwendungen für Wohnungseinrichtungen bei der Begrün- dung des Haushalts erfolgt. Einigen Anhalt über den Wert der Wohnungseinrichtungen geben die Ergebnisse der Mobiliarversiche- rungen. In Bayern gab es 1910 bei insgesamt 1432000 Haus- haltungen 1228000 Policen der Mobiliarbrandversicherung in der durchschnittlichen Höhe von 7130 M.83). Wenn wir annehmen, daß die versicherten Personen durchschnittlich zu dem vollen Werte ihrer Mobilien versichert waren und die nicht versicherten Per- sonen durchschnittlich Mobilien im Werte von 800 M. besaßen, so würde sich für den Durchschnitt der Haushaltungen ein Mobiliar- wert von 6229 M. ergeben und pro Kopf ein solcher von 1300 M. Vor 20 Jahren war nach einer Schätzung von Rasp®*) der Mobiliar- wert eines Haushaltes durchschnittlich um 200% geringer. Wir rechnen so für das Jahr 1891 (auch für Preußen) einen durch- schnittlichen Mobilienwert von 1040 Mani Da wir die Ausgaben für Kleidung und Hauswäsche bereits berücksichtigt haben, bringen wir eine entsprechende Summe in Abzug; nach der privaten Mit- teilung zweier Feuerversicherungsgesellschaften beträgt der Ver- sicherungswert von Wäsche und Kleidung etwa 25 % der gesamten Mobilien (von den restlichen 75% kämen 40% oder etwas mehr auf Möbel). Die eigentlichen Wohnungseinrichtungen würden hier- nach einen Wert von ungefähr 780 M. repräsentieren. Veranschlagen wir die durchschnittliche Gebrauchsdauer dieser Mobilien auf 20 Jahre, und berücksichtigen wir, daß im Jahre 1891 etwas mehr An- schaffungen als im Durchschnitt der vorangegangenen Jahre ge-
83) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Bayern, 1911, S. 242.
84) Das Deutsche Volk (Zeitschrift für nationale Politik), Jahrgang 1909.
85) Eine direkte Berechnung des Mobiliarwertes auf Grund der Versiche- rungsdaten des Jahres 1891 wäre unzuverlässig, weil damals in Bayern nur gut die Hälfte aller Familien versichert war.
32 Arthur Friedmann,
macht wurden, so können wir den Aufwand für Wohnungseinrich- tungen für 1891 auf ungefähr 40 M. schätzen.
Den wichtigsten Bestandteil der Wohnungseinrichtungen bilden die Möbel. Der Wert der Möbel wird nach den erwähnten Ver- hältniszahlen im Jahre 1891 pro Kopf reichlich 400 M. betragen haben, die Kosten für Neuaufwendungen ca. 20 M. — Die befragten Fachleute gaben über die Wandlung der Möbelpreise ziemlich ab- weichende Auskünfte. Es wurde zwar im allgemeinen ein Steigen der Preise angegeben, während aber einige Interessenten nur eine geringe Preissteigerung, wenigstens für billige Möbel, verzeichneten, nannten andere eine Steigerung bis zu 35 %. Nur ausnahmsweise wurde ein Gleichbleiben der Preise oder gar eine Verbilligung fest- gestellt. Nach dem Durchschnitt der vorliegenden Angaben zu ur- teilen, betrug die Preissteigerung für billige Möbel 8—10 %, während sie für teuere Möbel erheblicher war. Als Ursache der Preissteige- rung wird wiederum das Anziehen der Materialpreise, die Erhöhung der Arbeitslöhne und der Spesen genannt. Die Teilarbeit soll auch hier keinen Ausgleich für die Steigerung der Arbeitslöhne geschaffen haben.
Auch die Preise der übrigen Wohnungseinrichtung sind gestiegen. Für Gardinen, Portieren, Teppiche, Decken etc. wurde ein Preisaufschlag von etwa 20 % angegeben. Die Verteue- rung sei vor allem durch die Steigerung der Rohstoffpreise ver- ursacht. — Die Preise für Geschirr (Glas, Porzellan, Steingut) sollen sich ebenfalls um 15—25% erhöht haben ; höchstens die ganz geringen Qualitäten haben eine geringere Steigerung erfahren. Auch hier sind die teueren Rohstoffpreise, außerdem die vermehrten Kosten für Feuerung und die höheren Arbeitslöhne an dem Preisaufschlage schuld; endlich hat die Kartellierung der Industrie ein Hinaufgehen der Preise begünstigt. — Auch die Preise der Kunstgegenstände hatten im allgemeinen eine steigende Tendenz. — Nur bei wenigen Waren, die auf Grund der vervollkommneten Technik als Massen- artikel hergestellt werden, hat eine Verbilligung Platz gegriffen, so bei billigen Lampen, Kunstdrucken. — Wir schätzen die Preis- steigerung aller Wohnungseinrichtungen außer Möbel auf 15%.
Von den bisher noch nicht berücksichtigten Ausgaben wollen wir noch diejenigen zusammenfassen, die im wesentlichen ein Entgelt für persönliche Dienstleistung darstellen. Neben den von der Reichserhebung unter dem Titel „Persönliche Bedienung“ ver- zeichneten Ausgaben in der Höhe von 2,60 M. (2,95 M.) wären hierher die in der Erhebung besonders angeführten Aufwendungen für Reinigung der Wohnung und Reinigung der Kleidung und Wäsche, sowie die Umzugskosten zu rechnen. Für die Reinigung von Kleidern und Wäsche gibt die Erhebung 5,70 M. (6,50 M.) an, während die Ausgaben für Wohnungsreinigung nicht gesondert ge- zählt sind. Die Bezahlung für persönliche Dienstleistungen ist heute sehr viel höher als vor 20 Jahren. Wir gaben die Steigerung des durchschnittlichen Nominaleinkommens von 1891—1911 auf unge-
Die Woblstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 33
fähr 45% an; wahrscheinlich ist die Bezahlung der Dienstleistungen in ähnlichem Umfange gestiegen.
Auch die Kosten der ärztlichen Behandlung, sowie die Ausgaben für Rasieren und Haarschneiden können im wesentlichen als ein Entgelt für persönliche Dienstleistungen angesprochen werden. Die Aufwendungen zu diesen Zwecken sind sicher, wenn vielleicht auch nicht entsprechend der durchschnittlichen Einkommensteigerung, höher geworden. Die Bezahlung der Aerzte wäre hier nur soweit in Betracht zu ziehen, als sie von den Kranken selbst, nicht von den Krankenkassen oder von der Armenverwaltung geleistet wird. Die Tatsache, daß heute sehr viel mehr Patienten kassenärztlich be- handelt werden, kann unberücksichtigt bleiben, da wir später die Leistungen der öffentlichen Versicherungseinrichtungen gesondert behandeln. Für Gesundheitspflege sind in der Reichserhebung 7,80 M. (8,90 M.), für Körperpflege 1,80 M. (2,10 M.) verzeichnet. Diese Summen werden zum großen Teile auf ärztliche Behandlung, sowie auf Haar- und Bartpflege kommen.
Endlich sind noch die Trinkgelder in Gastwirtschaften als eine Bezahlung persönlicher Dienstleistungen zu rechnen. Wir schätzen hierfür 1 M. pro Kopf. (Die Ausgaben in Gastwirtschaften stellten sich nach der Reichserhebung auf 13 M.) Die Aufwendungen für Trinkgelder nahmen wahrscheinlich mit der allgemeinen Hebung des Wohlstandes erheblich zu.
Die gesamten Kosten für persönliche Dienstleistungen mochten sich 1891 auf 20—25 M. belaufen ; die durchschnittliche Verteuerung dieser Ausgaben während der letzten 20 Jahre soll auf 35% ge- schätzt werden.
Wir haben jetzt die wichtigsten Bedarfsposten angeführt. In der Reichserhebung sind im wesentlichen nur noch Ausgaben für Vergnügen, Vereine, Unterricht, Lernmittel, Zeitungen, Bücher und Verkehrsmittel mit zusammen 28 M. (32 M.) angegeben. Wir rech- nen für die hier nicht besprochenen Ausgaben insgesamt 30 M. und nehmen an, daß dieselben in den 20 Jahren im Durchschnitt keine Steigerung erfahren haben.
Es ist nicht nötig, neben der Bestimmung des Aufwandes auch die Höhe der im Jahre 1891 gemachten Ersparnisse zu bestimmen, da sich der Wert gleichhoher Ersparnisse entsprechend der durch- schnittlichen Verteurung aller Waren verminderte.
In der folgenden Zusammenstellung ist auf Grund der bisher ge- machten Schätzungen der durchschnittliche Aufwand für die ein- zelnen Bedarfsartikel im Jahre 1891 in absoluten Zahlen, sowie in Prozenten des Gesamtaufwandes wiedergegeben (b und c) An zweiter Stelle ist die geschätzte Preissteigerung der betreffenden Waren oder Leistungen von 1891—1911 angeführt. Die Ziffern (d) bedeuten die relativen Preise des Jahres 1911, wobei die Preise des Jahres 1891 gleich 1 gesetzt wurden. Multipliziert man die
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 3
34 Arthur Friedmann,
Ziffernreihen c und d, so erhält man Verhältniszahlen (e), welche zeigen, ein wie großer Teil des Einkommens des Jahres 1891 bei Zugrundelegung der Preise des Jahres 1911 für den betreffenden Be- darf erforderlich war; der Ueberschuß der Summe dieser Verhältnis- zahlen über 100 gibt an, wieviel Prozent mehr der Gesamtkonsum des Jahres 1891 nach den Preisen des Jahres 1911 kostete (wobei gemäß unseren früheren Ausführungen vorausgesetzt wurde, daß die einzelnen Waren in den Jahren 1891 und 1911 an den gleichen Orten konsumiert wurden).
Die Kosten des Durchschnittskonsums des Jahres 1891 nach den Preisen der Jahre 1891 und 1911.
a | b | c | d | e
durchschnittlicher (e X d)
Aufwand im Preis des relative Höhe
Jahre 1891 Jahres 1911 | des Aufwandes
Art des Aufwandes Im Prozent (Preis des | im Jahre 1911
in | des Ge- | Jahres 1891 | (Gesamtaufwand Mark | samtauf- | = 1) des Jahres
wandes 1891 = 100) Schweinefleisch 1,18 5,66 Rindfleisch 1,29 3,88 Kalbfleisch 1,54 0,92 Hammelfleisch 1,40 0,34 anderes Fleisch 1,15 0,86 Weizenbrot und Weizenmehl 1,11 5,84 Roggenbrot und Roggenmehl 1,08 5,68 Milch, Butter, Käse 1,19 10,44 Kartoffeln 1,15 sé Lie Eier 1,38 1,66 Zucker 0,75 0,94 Kaffee 0,92 1,66 Bier 1,17 6,15 Branntwein 1,30 2,15 Tabak 1,25 3,76 Uebrige Nahrungs- und Genußmittel 1,10 6,06 Wohnungsmiete 1,16 13,37 Heizung 1,18 3,85 Beleuchtung 1,00 1,25 Kleidung 1,23 13,25 Möbel 1,10 5,24 Andere Wohnungseinrichtungen 1,15 6,05 Persönliche Dienstleistungen 1,35 7,44 Sonstiges 1,00 7,52
~ [92| 100| TI 50 `
Nach dieser Berechnung betrugen also die Kosten des durch- schnittlichen Konsums im Jahre 1891 399,2 M. Ein gleich großer Verbrauch hätte im Jahre 1911 (unter der oben gemachten Vor- aussetzung, daß die Waren 1911 an den gleichen Orton wie 1891 E worden wären) einen 15,7% größeren Aufwand ver- ursacht.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 35
Es mag auffallen, daß wir hier für das Jahr 1891 einen Ge- samtverbrauch von 399,2 M. errechneten, während das Durchschnitts- einkommen nach unserer früheren Schätzung nur 395,6 M. betrug. Diese Differenz wäre dann noch sehr viel erheblicher, wenn wir von dem Einkommen die im Jahre 1891 gemachten Ersparnisse, deren Höhe sich allerdings kaum abschätzen läßt, in Abzug bringen. Ent- weder ist also die frühere Berechnung des Einkommens zu niedrig oder der hier berechnete Aufwand zu hoch; das letztere ist bei der vielfachen Unsicherheit der vorgenommenen Schätzungen wahrschein- licher. Geringe Fehler in der Berechnung der einzelnen Aufwands- posten würden aber für die durchschnittliche Verteuerung des Ge- samtverbrauchs kaum ins Gewicht fallen, da sich wenigstens die wichtigsten Bedarfsgegenstände in ähnlichem Umfange verteuerten.
Auch die Berechnung der Preissteigerung der einzelnen Waren und Leistungen war, wie wir bereits an früheren Stellen betonten, vielfach unsicher; dennoch wird die wirkliche Preissteigerung nicht allzu erheblich von der geschätzten Steigerung abweichen und kaum einige Prozent mehr oder weniger betragen: Nur bei wenigen Posten (z. B. bei Brot, Wohnungsmiete und Wohnungseinrichtungen) würde ein eventueller Fehler das Gesamtergebnis um 1/,% oder um 1% verändern, so würde z. B. die Annahme einer 5% zu hohen Steige- rung der Mieten eine um 0,6% zu starke Steigerung des Gesamtauf- wandes ergeben. Da die Erhebungsmethoden für die Preise der ver- schiedenen Waren oder Leistungen sehr verschieden sind, darf man erwarten, daß die etwa gemachten Fehler nicht alle in gleicher Rich- tung liegen, sondern sich teilweise ausgleichen.
Wir müssen nun endlich noch in Rechnung ziehen, daß tatsäch- lich nicht, wie wir bisher annahmen, im Jahre 1911 die Waren an den gleichen Orten wie im Jahre 1891 konsumiert wurden, daß viel- mehr der vom Lande in die Stadt gewanderte Teil der Bevölkerung, abgesehen von der bisher berücksichtigten Preis- steigerung, für den gleichen Konsum in der Stadt erheblich mehr aufzuwenden hatte. Besonders diejenigen Personen, die auf dem Lande einen großen Teil ihres Nahrungsbedarfs aus der eigenen Wirt- schaft deckten, konnten sehr viel billiger als die städtische Bevölke- rung leben. Für das Fleisch lassen sich die Preisunterschiede von Stadt und Land nach einigen von Brutzer®6) gegebenen Daten be- urteilen: Das Schweinefleisch kostete beim Berliner Fleischer 32,5 Pfennig das Pfund, während der Landwirt für dasselbe nur 57 Pf. erhielt. Rechnet man beim Selbstverbrauch des Landwirts 2,2 Pf. für Schlachtungskosten hinzu, so hätte der Landwirt für den gleichen Konsum 25,5% weniger aufzuwenden. Beim Rindfleisch ergibt eine gleiche Berechnung eine Verbilligung von 29,9% gegenüber der Stadt. — Aehnliches gilt für die Unterschiede der Milchpreise
86) Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 139, A II.
EL
36 Arthur Friedmann,
in Stadt und Land. Nach den diesbezüglichen Angaben für die Städte Berlin, Köln, Hamburg und Karlsruhe erhält der Landwirt für die Milch 25—45%o weniger als der städtische Konsument für dieselbe zu zahlen hat87). Noch erheblicher sind die Unterschiede der Kartoffelpreise; dies ist besonders deshalb bedeutungsvoll, weil fast sämtliche landwirtschaftlich Erwerbstätige in eigener Wirt- schaft erzeugte Kartoffeln konsumieren. Die Großhandelspreise der Kartoffeln waren im Durchschnitt der letzten 10 Jahre nach einem Vergleich der von der Reichsstatistik verzeichneten Großhandels- preise mit den von der Preußischen Statistik gegebenen Kleinhandels- preisen um 31,4%% niedriger. Nach den Angaben über Groß- und Kleinhandelspreise der Kartoffeln in 17 deutschen Großstädten im statistischen Jahrbüch deutscher Städte war der Großhandelspreis (1910) sogar 47% niedriger als der Kleinhandelspreis. Der Land. wirt hat bei dem eigenen Verbrauch der Kartoffeln einen noch ge- ringeren Preis als den Großhandelspreis zu verrechnen. — Ge- ringfügiger sind die Preisunterschiede für Roggen- und Weizen- mehl. Nach der Preußischen Statistik betrug der Verkaufspreis im Durchschnitt der Jahre 1909—1911 „beim Handel in größeren Mengen“ für Weizenmehl 19%, für Roggenmehl 20% weniger als im Kleinhandel. — Der Mietwert der Wohnungen ist auf dem Lande wiederum erheblich geringer als in der Stadt, wenn man auch wegen der verschiedenen Qualität der Wohnungen schwer einen zahlenmäßigen Vergleich ziehen kann; eine ungefähr gleichwertige Wohnung ist in der Großstadt oft um das Vielfache teurer als auf dem Lande. Endlich ist auch das Heizmaterial auf dem Lande billiger. — Es ist noch besonders zu beachten, daß der Landwirt. bei Berechnung des steuerpflichtigen Einkommens in Zweifelsfällen, ohne eine Steuerhinterziehung zu begehen, einen relativ niedrigen Wert für den eigenen Konsum in Rechnung setzen kann. So wird er für die selbst konsumierte Milch kaum den Preis in Anschlag bringen, den er bei Verkauf derselben nach der Stadt erhalten würde, sondern eher den niedrigeren Preis, den die Molkereien ihm zahlen. Berücksichtigt man, daß die Kosten der Ernährung, Wohnung und Heizung auf dem Lande ?/s—?/, des Gesamtaufwandes ausmachen, so wird man sagen dürfen, daß das Einkommen eines Landwirtes von 100 M. einem städtischen Einkommen von 130 M. gleichzu- setzen ist.
87) In Hamburg beträgt nach Angaben des Leiters einer Milchvertriebs- gesellschaft der Milchpreis 18—22 Pf., während der Landwirt 10—14 Pf. erhält. In Köln kostete die Milch in der Stadt 20 Pfg. und mehr,die Land- wirte erzielten nur 14—15 Pf. (Clewish, Die Versorgung der Städte mit Milch, Hannover 1909, S. 64). In Berlin betrug nach den Berichten der Aeltesten der Kaufmannschaft der Milchpreis im Laden 18 Pf., frei Haus 20 Pf., frei Bahnhof 12—131/, Pf. In Karlsruhe (Berg, Die Milchversorgung der Stadt Karlsruhe, Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 140 I, S. 135) kostete die Milch in der Stadt 22 Pf., der Produzent erhielt nur 163/, Pf., hat aber auch die Milch frei Bahnhof zu liefern.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 37
Auch die Ergebnisse der Steuerveranlagung zeigen, daß das auf dem Lande veranlagte Einkommen relativ niedrig ist. Im Jahre 1902 hatten die Landwirte mit einem Grundsteuerreinertrag von 60—90 M. im Durchschnitt einen Grundbesitz von 8 ha und dabei nur ein veranlagtes Einkommen von durchschnittlich 750 M., bei ungefähr 100 M. Schuldzinsen (entsprechend 2063 M. Schulden) 88). Bei einem Grundsteuerreinertrag von 90—150 M. betrug die durch- schnittliche Grundstücksgröße 11,1 ha, das durchschnittlich veran- lagte Einkommen 890 M., bei 150 M. Schuldzinsen (3056 M. Schulden). So verschiedenartig die Verhältnisse auch je nach der Güte des Bodens sind, so läßt sich doch sagen, daß ein Landwirt mit einem Grundbesitz von 8 ha, der jährlich nur 100 M. Schuldzinsen zu zahlen hat, im Durchschnitt eine sehr viel höhere Lebenshaltung als ein städtischer Arbeiter mit 750 M. Einkommen hat, und daß sich ebenso ein Landwirt, der 11 ha besitzt, und jährlich 150 M. Schuldzinsen zahlt, sehr viel besser als ein städtischer Arbeiter mit 890 M. Einkommen steht.
Die Abwanderung vom Lande in die Stadt während der letzten beiden Jahrzehnte läßt sich einmal nach den diesbezüg- lichen Daten der Volkszählung, andererseits nach den Angaben der Berufszählung über die Zahl der landwirtschaftlichen Erwerbs- tätigen verfolgen. Im Jahre 1910 war in Preußen der Anteil der Bevölkerung in Landgemeinden und Gutsbezirken mit weniger als 10000 Einwohnern um 11,40% der Gesamtbevölkerung geringer als 1890, dagegen der Anteil der großstädtischen Bevölkerung 9,20% und der Bevölkerung in Städten unter 100000 Einwohnern und in Landgemeinden mit mehr als 10000 Einwohnern 2,1% größer als 1890. — Die Zahl der landwirtschaftlich Erwerbstätigen (allerdings einschließlich der in der Forstwirtschaft, Gärtnerei und Fischerei Berufstätigen) — zuzüglich der Angehörigen — nahm in Preußen von 1882—1895 um 7,5, von 1895—1907 ebenfalls um 7,5% der Gesamtbevölkerung ab, in der Zeit von 1891—1911 also schätzungsweise um 12%. Wir rechnen, daß von 1891—1911 12% der Gesamtbevölkerung, von denen der größte Teil landwirtschaft- lich erwerbstätig war und den Nahrungsbedarf ganz oder teilweise aus der eigenen Wirtschaft befriedigte, vom Lande in die Stadt, zu mehr als vier Fünftel in die Großstadt wanderte. Wenn diese Leute früher ein etwa zwei Drittel so hohes Einkommen als der Durchschnitt der Bevölkerung hatten, und nunmehr für die Be- streitung eines gleich großen Konsums wie auf dem Lande ein 30% höheres Einkommen benötigten, so waren im Jahre 1911 allein 2,4% des Gesamteinkommens der Bevölkerung des Jahres 1891 erforderlich, um den durch die Differenz der Unterhaltungskosten
88) Preußische Statistik, Heft 191, S. 27, 1905: Verschuldung und sonstige wirtschaftliche Verhältnisse der Grundeigentümer mit mindestens 60 M. Grund- steuerreinertrag.
38 Arthur Friedmann,
bewirkten Mehraufwand der vom Lande in die Stadt Gewanderten zu decken. Es würde mithin der Gesamtkonsum des Jahres 1891 im Jahre 1911 nicht, wie wir früher berechneten 15,7 %, sondern 18,5 % teurer als 1891 gewesen sein.
In diesem Zusammenhange ist noch zu erwähnen, daß die durch- schnittlichen Unterhaltskosten dann höher zu veranschlagen sind, wenn die Zahl der Kinder im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung niedriger ist, und ebenso bei einer durchschnittlich geringeren Mit- gliederzahl der Haushaltungen. Die Differenzen der beiden Ver- gleichsjahre sind aber in dieser Hinsicht unerheblich. Die Durch- schnittszahl der Angehörigen einer Haushaltung nahm in Preußen von 1890—1910 nur von 4,69 auf 4,56 ab. Der Anteil der Kinder unter 14 Jahren an der Gesamtbevölkerung betrug 1890 33,53, 1910 32,65%.
Wenn nun im Jahre 1911 das durchschnittliche Nominalein- kommen 43,0% höher war als 1891 (S. 16), während die Deckung des Konsums des Jahres 1891 1911 ein 18,5% höheres Einkommen erforderte, so stand im Jahre 1911 ein nicht ganz 21% höheres Ein- kommen, als solches zur Bestreitung des Konsums des Jahres 1891 nötig war, zur Verfügung.
Diese Einkommensteigerung ist etwas erheblicher als wenn in irgendeinem Jahre bei Gleichbleiben der Preise aller Bedarfsartikel das Durchschnittseinkommen um 21% gestiegen wäre; nur unter der Voraussetzung, daß die relativen Preise aller Bedarfsartikel gleichgeblieben wären, wäre bei einem Einkommen, wie es zur Auf- bringung des Konsums des Jahres 1891 genügte, im Jahre 1911 auch eben derselbe Konsum bestritten worden. Da einzelne Waren mehr als der Durchschnitt, andere weniger als der Durchschnitt im Preise stiegen oder gar im Preise sanken, wären diejenigen Waren, die verhältnismäßig billiger geworden sind, in relativ größerer Menge konsumiert worden und so schon bei einem Einkommen, mit dem der Gesamtaufwand des Jahres 1891 gerade hätte bestritten werden können, ein subjektiv wertvollerer Konsum erzielt worden. Nun sind aber die wichtigsten Bedarfsartikel einigermaßen gleichmäßig im Preise gestiegen, Schweinefleisch ist um 13%, Rindfleisch um 29%, Milch und Butter um ca. 20%, Brot allerdings nur um 10% teurer geworden. Die Wohnungsmiete ist auch um ca. 16% gestiegen. Kleidung und Wäsche stehen heute um 20—30%, Wohnungseinrich- tungen um 10—150% höher im Preise. Wenn auch einige weniger wichtige Bedarfsartikel erheblich im Preise gesunken sind, so ist doch die Gesamtsteigerung des Realeinkommens höchstens wenige Prozent höher als 21% anzusetzen. Wir wollen diese Verhältnisse an einem Beispiel erläutern; der Einfachheit halber wählen wir von der Wirklichkeit einigermaßen abweichende Daten:
Wenn der Preis des Brotes im Laufe der Jahre unverändert geblieben wäre, während alle anderen Waren um 15% (von 87 Pf.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 39
auf 1 M.) im Preise anstiegen, und früher pro Kopf und Jahr 40 M. Brot konsumiert wurden, so mögen jetzt, bei den relativ niedrigeren Brotpreisen vielleicht weitere 10 M. Brot anstelle anderer Waren verzehrt werden. Die erste Mark, die für den Mehrkonsum an Brot aufgewandt wird, hat fast den gleichen Wert wie die früher zuletzt dafür aufgewandte (40ste Mark); es tritt also anstelle eines Konsums, für den nach den früheren Preisen 87 Pf. gezahlt wurde, ein Konsum, für den früher beinahe 1 M. aufgewandt wurde. Hin- gegen repräsentiert die50ste Mark Brot keinen höheren subjektivenWert als die Waren, an deren Stelle dieser Konsum tritt, denn andernfalls würde noch für eine 5lste Mark Brot anstelle anderer Waren konsumiert werden. Wir können danach rechnen, daß die 10 M. Brot, die statt anderer Waren verzehrt werden, im Durchschnitt die Hälfte von 13 Pf., also 6,5 P£., mehr wert sind als die Waren, an deren Stelle sie treten. Es würde mithin die ganze Verschiebung des Konsums nur einen Gewinn von 65 Pf. bedeuten. — Aehnliches ließe sich inbetref£ der Preisverschiebungen anderer Waren sagen.
Wir werden also auch in Anbetracht der zuletzt geschilderten Verhältnisse die Steigerung des durchschnittlichen Realeinkommens auf kaum mehr als 220% schätzen dürfen. Eine Zunahme des Einkommens um 2200 in 20 Jahren würde eine durchschnittliche Einkommensteigerung um genau 1% pro Jahr bedeuten. (Die durchschnittliche Verteuerung der Lebenshaltung würde bei einer 43%igen Steigerung des Nominaleinkommens und einer 220%igen Steigerung des Realeinkommens 17,20 betragen.)
In der bisherigen Darstellung wurde nur das Durchschnitts- einkommen der Jahre 1891 und 1911 miteinander verglichen, ohne daß die Entwicklung in den dazwischenliegenden Jahren besprochen wurde. Wir werden auch weiterhin darauf verzichten, auf die Einkommensentwicklung in der genannten Periode näher einzugehen ; soviel ergibt sich aber schon bei einer oberflächlichen Betrachtung, daß sich die Einkommensteigerung im Laufe der 20 Jahre ohne allzu erhebliche Schwankungen vollzog: Das Nominaleinkommen nahm nach den Ergebnissen der Einkommensteuerveranlagung in den ersten Jahren sehr langsam und dann — mit einer Unterbrechung in den Jahren 1901 und 1902 — schneller zu, während die Kaufkraft des Geldes wahrscheinlich bis Mitte der 90er Jahre ein wenig zu- nahm, um von da ab bis zur Gegenwart zu sinken. (Das Jahr 1891 nahm allerdings insofern eine Ausnahmestellung ein, als wegen der Mißernte der Brotpreis außerordentlich hoch war, es wurde aber hierauf bei Vergleich der Einkommensverhältnisse der beiden Jahre bereits Rücksicht genommen.)
Dem bisher betrachteten eigentlichen Einkommen ist vielfach der Ver- mögenszuwachs, soweit derselbe nicht als Einkommen besteuert wird, gleichzusetzen. Der automatische Wertzuwachs spielt hierbei keine erheb-
40 Arthur Friedmann,
liche Rolle8°). Sehr viel eher kämen hier die Erbschaften in Frage, deren Gesamtsumme relativ bedeutend im Vergleich zu dem Gesamteinkommen der Nation ist. In Preußen wird heute bei einem Nationalvermögen von vielleicht 180 Milliarden M. die Höhe der jährlichen Erbschaften etwa 6—8 Milliarden M. betragen gegenüber einem Nationaleinkommen von 23—24 Milliarden M. Die häufigsten Erbanfälle an Ehegatten und Deszendenten können allerdings in ihrer Bedeutung für den Wohlstand dem Einkommen durchaus nicht gleich- gesetzt werden. — Die Erbschaften haben in den letzten beiden Jahrzehnten TB der Verlängerung der durchschnittlichen Lebensdauer etwas weniger als die Vermögen zugenommen, und die Vermögen selbst sind anscheinend nur in eringerem Maße als die Einkommen gewachsen. Das von der Preußischen rgänzungssteuer erfaßte Vermögen nahm von 1895—1911 pro Kopf der Ge- samtbevölkerung um 28°/, zu, während das durchschnittliche Einkommen von 1892—1912 um 43°/, anstieg. — Würden wir den konsumierten Teil der Erb- schaften dem aus dem Einkommen bestrittenen Konsum hinzurechnen, so würde der Gesamtkonsum doch nicht die Höhe des eigentlichen Einkommens erreichen, denn die Aufzehrung eines Teiles des vorhandenen Vermögens wird durch die Ersparung neuen Vermögens mehr als ausgeglichen.
Die Größe des Kapitalvermögens an sich kann, abgesehen von dem bereits berücksichtigten aus dem Vermögen fließenden Einkommen, kaum als ein wesentlicher Maßstab des Wohlstandes betrachtet werden ; anders verhält es sich mit dem Gebrauchsvermögen. Indem wir an Hand des veranlagten Ein- kommens die Größe des jeweiligen Konsums bestimmten, ließen wir die Nutz- nießung der Güter, die bereits in früheren Jahren beschafft wurden, unberück- sichtigt. Nur bei Benutzung eines eigenen Wohnhauses wurde ein entsprechender Betrag bereits bei dem Einkommen in Rechnung gesetzt, nicht aber bei dem restlichen Gebrauchsvermögen, besonders der ohnungseinrichtung. Nach unseren früheren Schätzungen kann der Wert der Nutzung der eigentlichen ier Geer? für das Jahr 1891 auf nicht gena 40 M. pro Kopf (das wären 1 de des Durchschnittseinkommens) veranschlagt werden. Man sollte erwarten, daß sich in den letzten Jahrzehnten der Aufwand für Wohnungsein- richtungen und mithin der Wert des vorhandenen Mobiliars mindestens ebenso stark wie das Einkommen vermehrt hätte, da bei steigendem Wohlstand ein relativ größerer Anteil des Einkommens für weniger dringliche Zwecke aus- gegeben wird. Nach der Statistik von Rasp°®), die sich auf den Vergleich einer großen Anzahl von Policen im Jahre 1890 und 1910 stützt, hätte sich hingegen der Mobiliarwert nur um 20°/, gesteigert. Da die Mobilien innerhalb der letzten 20 Jahre nicht unerheblich teurer geworden sind, wäre die tatsäch- liche Zunahme des Gebrauchsvermögens noch geringer.
3. Der Anteil der hohen und niederen Einkommen an der allgemeinen Wohlstandssteigerung.
Bei der obigen Darstellung der Wohlstandsentwicklung in Preußen haben wir allein auf die durchschnittliche Einkommen-
89) Der automatische Wertzuwachs des vorhandenen Vermögens beträgt heute nach allerdings sehr unsicheren Schätzungen in Deutschland jährlich 1—3 Milliarden M. Ein sehr großer Teil dieses Zuwachses wird aber bereits als Einkommen veranlagt. Die Handel- und Gewerbetreibenden haben den Zu- wachs des Anlagekapitals als Geschäftsgewinn zu versteuern. Ein sehr großer Teil des Grundvermögens, das hier in erster Linie in Betracht käme, ist nicht im Besitz von Privatpersonen, sondern von industriellen Unternehmungen, Terrain- gesellschaften etc. Der Vermögenszuwachs erscheint hier in den Dividenden der Unternehmungen und so in dem eigentlichen Einkommen der Aktionäre. Endlich wird auch ein erheblicher Teil des Wertzuwachses der Grundstücke, die sich im Besitze von Privatpersonen befinden, in Form von Hypotheken- zinsen den Hypothekengläubigern zugeführt und von diesen als eigentliches Einkommen verrechnet.
90) Das Deutsche Volk, Zeitschrift für nationale Politik, Jahrgang 1909.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 41
steigerung Gewicht gelegt. Wir wollen nunmehr an Hand der früher gegebenen Daten zu zeigen versuchen, welchen Anteil die nie- deren, mittleren und höheren Einkommen an der allge- meinen Einkommensteigerung hatten. Wir bedienen uns einer ähnlichen Methode, wie sie von Helfferich in seiner Ar- beit: Die Verteilung desVolkseinkommens in Preußen 1896—191291) angewandt wurde. Die Art der Berechnung ist aus untenstehender Tabelle ersichtlich92): Die Gesamtzahl aller Zensiten wurde 1892 und 1912 in 7 Gruppen eingeteilt. Jede Gruppe umfaßt in beiden Jahren den gleichen Prozentsatz aller Zensiten, und zwar wurde der Umfang der Gruppe nach Möglichkeit so bemessen, daß für das Jahr 1892 auf die einzelne Gruppe 10% des Gesamteinkommens entfiel. Nur der ersten Gruppe mußten 1892 sämtliche Zensiten mit weniger als 900 M. und insgesamt 42% des Gesamteinkommens zugewiesen werden, da die genauere Verteilung des Einkommens auf die Personen mit weniger als 900 M. unbekannt ist. In die zweite Gruppe wurden soviel Zensiten — mit dem nächst höheren Ein- kommen — eingeordnet, daß das Einkommen der Gruppe I und II 50% des Gesamteinkommens ergab.
Bei der Berechnung der Zensitenzahl und des Einkommens in Spalte b—d wurden die Angaben der offiziellen Einkommenstatistik verwandt. Für die Einkommen unter 900 M. wurden jedoch die in dieser Arbeit (S. 5) errechneten Werte eingesetzt; die Frei- stellungen und Ermäßigungen wurden auf die Weise berücksich- tigt, daß die Zensitenzahl in den Einkommensgruppen von 900 bis 3000 M. — entsprechend der Besetzung der einzelnen Gruppen — insgesamt um die Zahl der Steuerbefreiten erhöht wurde; für’ die Ermäßigungen in den höheren Einkommensgruppen wurden ent- sprechende Korrekturen angebracht 93).
Avs Spalte e der Tabelle ist ersichtlich, daß sich der verhältnis- mäßige Anteil der einzelnen Einkommensgruppen am Gesamtein- kommen etwas, wenn auch nur wenig verschoben hat. Wäre der Anteil einer Gruppe am Gesamteinkommen 1912 genau so groß wie 1892 gewesen, so müßte auch das Durchschnittseinkommen dieser Gruppe im selben Umfange wie das Durchschnittseinkommen überhaupt, also nach unseren früheren Schätzungen (S. 16) um 430, gestiegen sein. Nahm aber der verhältnismäßige Anteil des Einkommens einer Gruppe am Gesamteinkommen um f% zu, (Spalte f), so muß auch das Durchschnittseinkommen der Gruppe 1912 f%o größer sein, als es bei einer nur 43%igen Steigerung ge- wesen wäre. Das Durchschnittseinkommen der Gruppe wäre alsdann
91) Festgabe zu Rießers 60. Geburtstag, Berlin 1913, S. 18.
92) Die Spalte e der Tabelle entspricht der Helfferichschen Darstellung. Die Spalten g und h wurden hinzugefügt.
93) Bei dieser Berechnung ergibt sich für das Jahr 1892 ein ungefähr 60 Mill., für das Jahr 1912 ein etwa 200 Mill. M. geringeres Gesamteinkommen als bei der präziseren Berechnung an früherer Stelle (S. 11); ein gleicher Berechnungsmodus war hier nicht anwendbar.
Arthur Friedmann,
42
Die durehschnittliche Steigerung verschieden hoher Einkommen in Preußen von 1892—1912.
Berechnet nach dem Anteil von 7 EE an dem Gesamteinkommen in den beiden Vergleichsjahren.
PR Gruppe Gruppe rüppė Fre Geet Gruppe |Gruppe Gruppe I u 1m IV v vi vn "rm viia a Prozent aller Zensiten 76,42 7,50 7,42 4,88 2,63 0,98 0,17 100 0,00093 b ann h 1892| 8411 825,7 816,7 537,5 289,7 107,2 18,34 ||r1 006,1] 0,102 b, Zahl der Zensiteu in Tausend fion 11996 1177,3 1164,8 766,0 412,8 153,8 26,59 15 697,4| 0,145 ©, | Eink Be E. J 1892 |o— 900| 900—1087,5| 1087,5—1505|1505—2511|2511— 5625 |5625—21 480 üb. 21 480| über o füb. 512 500 e (Frame (von... bis...) Vaaak vest 1355—1586 | 1586-2r1slarıs 355513555 —741017410--29 430 üb, 29 430] über st 751 000 d, i absolut d 1892| 4291 821 1022,4 1022,4 1022,4 1022,4 1022,4 || 10 224 102,2 d, Gruppen- jin Millionen Mark | 1912] 8923 1728 2075 2041 1985 1960 2226 20 938 249.0 e, | einkommen ) in Prozent des [1892| 47,97 8,03 10,0 10,0 10,0 10,0 10,0 100 1,0 1 H H , H H e, Gesamteinkommens | 1912| 42,62 8,25 9,91 9,75 9,48 9,36 1063 | 100 1,19 Steigerung (+) resp. Verminderung (—) des verbältnismäßigen Anteils des t Gruppeneinkommens am Gesamtein- kommen von 1892—1912 in Proz. des +15 + 2,7 — 0,9 — 2,5 — 5,2 —64 +6, o + 19,0 verhältnismäßigen Anteils von 1892 100 Le gei AE Sen Durchschnittliche FE de Nominaleinkommens der be- treffenden Gruppe in Prozent (ermit- g telt aus der S. 16 festgestellten durch- schnittlichen Einkommenssteigerung( | 45,1 46,9 41,7 39,4 35,6 33,8 52,0 43 70,2 von 43°/, und der Ziffer in f.) (= 000 LD 100) Durchschnittliche Steigerung des h Realeinkommens der betreffen- den Gruppe in Prozent (ermittelt auf Grund der Ziffer in g und der S. 20 e festgestellten durchschnittlichen Ver-\| 23,8 25,3 20,9 18,9 15,7 14,2 29,7 2 45,2
teuerung der Lebenshaltung um 17,2°/0) ~ . (100 + g)
172 100)
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 43
100 + f 100 100 + f
die Zunahme betrüge nicht 43°/,, sondern UA. "or 100) Du
(Spalte ei — Da sich die Lebenshaltung von 1892—1912 (nach S. 39) um 17,20% verteuerte (einem Einkommen von 100 im Jahr 1892 ein Einkommen von 117,2 im Jahre 1912 entspricht), würde bei einer nominellen Zunahme des Einkommens um g% die Steige-
00. rung des Realeinkommens nur e ml Du betragen
nicht von 100 auf 143, sondern von 100 auf 143. gestiegen ;
(Spalte h).
Die Tabelle zeigt, daß die verschieden hohen Einkommen in nicht gar so verschiedenem Umfange gestiegen sind. Wenigstens scheinen die niedersten Einkommen, deren Entwicklung das größte Interesse beansprucht, in ähnlichem Umfange wie der Durchschnitt aller Einkommen gewachsen zu sein. Die Einkommen unter 900, resp. 1355 M. erfuhren nominell eine nur 2,1% größere Steigerung als das Durchschnittseinkommen; etwas größer war das Wachs- tum der Einkommen bis 1100, resp. 1600 M. Die mittleren Ein- kommen blieben hinter der durchschnittlichen Einkommensteige- rung zurück, während die hohen Einkommen wieder eine verhältnis- mäßig stärkere Zunahme aufweisen. Die Einkommen über 21000, resp. 29000 M. stiegen dem Nominalwerte nach statt um 43 um 52%, dem Realwerte nach statt um 22 um 29,7%. Am stärksten ist die Zunahme bei den allerhöchsten Einkommen. (Ca. 1/100?/v0 aller Zensiten [1892 102, 1912 145 Personen] hatten 1892 nur 1%, 1912 dagegen 1,19%0 des Gesamteinkommens. Die Steigerung des Nominaleinkommens betrug 700%, die Steigerung des Realeinkom- mens 45%.)
Bei der hier gegebenen Berechnung wurden die vermutlichen Hinterziehungen und Mindereinschätzungen nicht berücksichtigt, und außerdem wurden die direkten Steuerleistungen nicht in Abzug ge- bracht. Nun hat sich die Genauigkeit der Veranlagung bei den nie- deren Einkommen im Laufe der Jahre wahrscheinlich mehr als bei ‘den höheren Einkommen gesteigert. Wir veranschlagten die Minder- einschätzungen der Einkommen unter 3000 M. 1912 auf nur 15% gegen 22% im Jahre 1892, hingegen die Hinterziehungen der Ein- kommen über 3000 M. 1912 auf 10% gegen 15% im Jahre 1892 (S. 15). Dies wären für die niederen Einkommen 1912 um 7% ge- ringere, für die höheren Einkommen aber nur um 5% geringere Mindereinschätzungen. Wenn wir also oben die Zunahme der Ein- kommen unter 900 M. zu 2,1% größer als die Zunahme des Durch- schnittseinkommens angaben, so könnte diese geringe Differenz schon teilweise durch die relativ bessere Veranlagung der niederen Ein- kommen im Jahre 1912 erklärt werden.
44 Arthur Friedmann,
Daß bei der obigen Berechnung die direkten Steuern nicht in Abzug gebracht wurden, scheint für das Resultat unerheblich. Die direkten Steuern sind verhältnismäßig gering. Auch haben die- selben für hohe und niedere Einkommen in nicht gar so verschie- denem Verhältnisse zugenommen. Die Progression ist bei den nie- deren Einkommen zwar viel stärker als bei den höheren, so daß bei einer verhältnismäßig gleichen Zunahme bei den niederen Ein- kommen relativ höhere Steuerbeträge in Abzug zu bringen wären. Auf der anderen Seite bewirkten die Steuerzuschläge des Jahres 1909 eine verhältnismäßig stärkere Belastung der höheren Einkommen. Ebenso werden die Reichen durch die erst seit 1893 erhobenen Er- gänzungssteuern, sowie durch die im Jahre 1911 im Gegensatz zum Jahre 1891 bei der Veranlagung teilweise nicht in Abzug gebrachten kommunalen Ertragsteuern verhältnismäßig stärker belastet.
Ein merklicher Fehler entstand jedoch bei der obigen Be- rechnung dadurch, daß die Aenderung des Geldwertes für ver- schieden hohe Einkommen als gleich angenommen wurde, während in der Tat die Kaufkraft des Geldes im Laufe der 20 Jahre für die hohen Einkommen in stärkerem Maße als für die niederen abge- nommen zu haben scheint, und zwar aus zwei Gründen: Erstens sind diejenigen Bedarfsartikel, die von den Wohlhabenden in relativ größerem Umfange konsumiert werden, vielfach ‚stärker im Preise gestiegen. Bei den hohen Einkommen kommt ein geringerer Anteil des Konsums auf Nahrungsmittel, sowie auf Wohnungsmiete, da- gegen eiu größerer Anteil besonders auf persönliche Bedienung, dann auf Wohnungseinrichtungen und wahrscheinlich auch auf Kleidung. Die Kleidung und mehr noch die persönliche Bedienung haben sich in den letzten 20 Jahren mehr als der Durchschnitt aller Waren verteuert, nach unseren früheren Schätzungen um 23, resp. 350/0, während die durchschnittliche Preissteigerung nur ca. 16% be- trug. Unter den wichtigeren Nahrungsmitteln hat das Fleisch, das in verhältnismäßig größeren Mengen von den Reichen konsumiert wird, eine größere Preissteigerung als der Durchschnitt aller Nah- rungsmittel erfahren. Andererseits haben sich die Verkehrsmittel, die relativ mehr von der wohlhabenden Bevölkerung in Anspruch genommen werden, weniger als der Durchschnitt aller Waren ver- teuert oder gar verbilligt, ebenso manche Luxusartikel. Einzelne heute gebrauchte Luxusartikel waren vor 20 Jahren gar nicht oder in gleichwertiger Form nur zu sehr viel höheren Preisen zu erlangen. — Zweitens aber ist der Aufwand der Reichen dadurch verhältnis- mäßig teurer geworden, daß sich innerhalb der einzelnen Gruppen von Bedarfsartikeln der Preis derjenigen Qualitäten, die speziell dem Ge- brauche der Reichen dienen, vielfach mehr als der Durchschnitts- preis der betreffenden Waren erhöht hat. Von der ärmeren Bevölke- rung werden in größerem Umfange Waren konsumiert, die als Mas- senartikeln hergestellt werden und in den letzten Jahren auf Grund der vervollkommneten Technik eine Verbilligung oder doch nur eine geringere Verteuerung erfahren haben. So stieg der Preis für Kon-
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 45
fektionswaren lange nicht in dem Umfange wie der Preis nach Maß gefertigter Anzüge; Maßstiefel haben sich mehr als fertig gekaufte Stiefel verteuert. Ebenso sind nach Angabe der von mir befragten Sachverständigen die Preise der teuren Möbel im weitgehenderen Maße als die der billigen Möbel gestiegen. — Eine Ausnahme in dieser Hinsicht scheinen die Aufwendungen für Wohnungsmiete zu machen. In der Mehrzahl der Städte, die Angaben über die Miet- steigerung in den letzten Jahren bringen, wird für kleinere Woh- nungen eine stärkere Steigerung der Mieten angegeben 9). Viel- leicht ist diese Tatsache teilweise darauf zurückzuführen, daß sich die Ausstattung der billigen Wohnungen verhältnismäßig mehr als die der teueren gehoben hat.
- Die durchschnittliche Verteuerung der Lebenshaltung für die verschieden hohen Einkommen könnte auf die gleiche Weise, wie dies früher für das Durchschnittseinkommen geschehen ist, festgestellt werden (in der Tabelle auf S.34 wären in Spalte c und d entsprechend veränderte Werte einzutragen). Wenn für eine ge- nauere Berechnung auch genügende Daten fehlen, so läßt sich doch soviel bei einer ungefähren Schätzung der betreffenden Werte er- sehen, daß die durchschnittliche Verteuerung der Lebenshaltung für die hohen Einkommen höchstens um wenige Prozent größer als für das Durchschnittseinkommen gewesen ist. Wir dürfen danach schließen, daß trotz der etwas geringeren Abnahme des Geldwertes für die niederen Einkommen die Steigerung dieser Einkommen nicht wesentlich größer als die der höheren war.
4. Die Leistungen der öffentlichen Körperschaften in den Jahren 1891 und 1911.
Um ein vollständiges Bild der Lebenshaltung in den beiden Ver- gleichsjahren zu geben, haben wir — nach Besprechung des pri- vaten Konsums — nunmehr die staatlichen Leistungen in Betracht zu ziehen. Und zwar sind von diesen nur solche zu berücksichtigen, die ohne spezielles Entgelt erfolgen; die entgeltlichen Leistungen wurden bereits bei dem privaten Konsum betrachtet. Ebenso sind die Ausgaben der Schuldenverwaltung in Abzug zu bringen; die Schuldzinsen fanden als Einkommen der Staatsgläubiger Berück- sichtigung. Auch die Ausgaben für Militärzwecke müssen wir bei der Beurteilung des Volkswohlstandes außer Acht lassen. Es ist in diesem Zusammenhange ohne Belang, ob die Aufwendungen für militärische Zwecke etwaige Störungen der Volkswirtschaft durch kriegerische Vorkommnisse verhinderten und so indirekt zu einer Hebung des Wohlstandes beitrugen, denn die tatsächlich erfolgte Steigerung des Wohlstandes würdigten wir bereits in der Zunahme des privaten Konsums, sowie auch in der Mehrung der sonstigen staatlichen Leistungen. Es kann auch nicht gut damit gerechnet werden, daß schon in naher Zukunft geringere Mehraufwendungen
94) Vgl. S. 26 ete. und die dort angegebene Literatur.
46 Arthur Friedmann,
für militärische Zwecke gemacht werden, und so der Zuwachs des Nationaleinkommens, der jetzt für Rüstungen verbraucht wird, an- deren Zwecken zugeführt wird, zumal wenn man die Möglichkeit kriegerischer Ereignisse in Rechnung zicht.
Die Gesamtausgaben des Deutschen Reiches, ausschließlich der Ausgaben für Landesverteidigung und Schuldenverwaltung, sowie der Aufwendungen für Post, Telegraph und Eisenbahn und endlich auch abzüglich der Ueberweisungen an die Bundesstaaten stellten sich 1891 auf 144 Mill. M. oder 2,90 M. pro Kopf, 1911 auf 385 Mill. M. oder 5,90 M. pro Kopf. In Preußen betrugen die gesamten Staatsausgaben, wiederum ohne die Aufwendungen für erwerbswirt- schaftliche Unternehmungen und ohne die Ausgaben für Schulden- verwaltung, und abzüglich der Matrikularbeiträge 1891 529 Mill. M., 1911 1157 Mill. M., das sind pro Kopf der Bevölkerung 17,40, resp. 28,40 M. Die unentgeltlichen Leistungen der preußischen Kommunen, ausschließlich der Ausgaben für die Schuldenverwal- tung, bezifferten sich, wie die untenstehenden Berechnungen ergeben, 1891 auf schätzungsweise 368 Mill. M., oder 12,10 M. pro Kopf und 1911 auf 1041 Mill. M. oder 25,60 M. pro Kopf.
Die Gesamtsumme der unentgeltlichen Leistungen von Reich, Staat und Kommunen betrug danach in Preußen 1891 pro Kopf 32,40 M., 1911 59,90 M., die Steigerung also 85%.
Die unentgeltlichen Leistungen der preußischen Kommunen im Jahre Tt abzüglich der Ausgaben für die Schuldenver- waltung.
Im Jahre 1888 betrugen die Gesamtausgaben in den 7 östlichen Provinzen Preußens 33!/, Mill. M., in den Gutsbezirken 10 Mill. M., zusammen 43!/, Mill. M.9). Die Schulden der Landgemeinden betrugen 36,7 Mill. M., das sind schätzungsweise an Schuldzinsen und Tilgungssummen 2,2 Mill. M. Unter den angeführten Ausgaben sind nicht allzuviel entgeltliche Ausgaben ge- zählt ech 29 Mill. M. kamen auf Armenpflege, Volksschulen und öffent- liche Wege). Wir rechnen die unentgeltlichen Leistungen der östlichen Land- gemeinden und Gutsbezirke abzüglich der Aufwendungen für die Schulden- verwaltung zu 37 Mill. M. Die Gemeindeabgaben waren 1883 in den Landge- meinden der 5 westlichen Provinzen 92°/, höher als in den Landgemeinden der 7 östlichen Provinzen %8). Wir schätzen danach die unentgeltlichen Leistun- en der Landgemeinden der westlichen Provinzen abzüglich der Ausgaben der Schuldenverwaltung im Jahre 1888 auf 60 Mill. M.; die Gutsbezirke der west- lichen Provinzen können wegen ihrer geringen Zahl vernachlässigt werden. Die Gesamtleistungen aller preußischen Landgemeinden und Gutsbezirke betrugen also 1888 ca. 97 Mill. M. Von 1888—1891 nahmen die direkten Staatssteuern in Preußen um 8% zu). Wir nehmen für die Leistungen der Landgemeinden ane TER Zunahme an und schätzen dieselben für das Jahr 1891 auf 102
ill. M.
Die Leistungen der Städte mit mehr als 10000 Einwohnern lassen sich nach den Angaben über die Einnahmen und Ausgaben derselben im Jahre 189198) abschätzen.
95) Statistisches Handbuch für den Preußischen Staat, Bd. 2, S. 622.
96) Ebenda, S. 619.
97) Ebenda, S. 574. i
98) Drucksachen des Preußischen Abgeordnetenhauses, Session 1892/93, No. 7, 8. 701.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 47
Unentgeltliche Leistungen der preußischen Städte mit mehr als 10000 Einwohnern im Jahre 1891/92 (mit Ausnahme der Ausgaben für die Schuldenverwaltung) in Millionen Mark.
Ein- ee, Toen reiche istungen nahmen gaben (geschätzt) Allgemeine staatliche Zwecke 4,3 18,2 16 Verkehrsanlagen 10,1 52,1 42 Gewerbliche Anlagen und gemeinnützige Anstalten 121,4 118,0 5 Wohltätigkeit und Armenpflege 14,3 44.5 30 Unterrichtszwecke 21,5 72,8 E Allgemeine Gemeindeverwaltung 4,1 28,5 26 Schuldenverwaltung — 37,1 — Nutzbares Vermögen 24,6 5,9 — Bonstiges 50,7 18,4 10 Gesamtsumme der unentgeltlichen Leistungen 180 Mill. M
Die Bevölkerung satos (1890) 8,3 Mill. ; die Leistungen pro Kopf also 21,7 M. Rechnen wir für die 3,5 Mill. Bewohner der Städte mit weniger als 10000 Einwohnern die unentgeltlichen Leistungen der Kommune zu 16 M. po Kopf, so erhalten wir für die Städte dieser Größenordnung eine Gesamt- aane von 56 Mill. M.
betrüge danach die Gesamtsumme der unentgeltlichen Leistungen der Städte abzüglich der Ausgaben für Schuldenverwaltung ca. 236 Mill. M.
Die Leistungen der Kreise, sowie der höheren Kommunalverbände kämen nur soweit in Betracht, als dieselben aus eigenen Einnahmen bestritten werden. Die Leistungen der Provinzialverbände werden größtenteils durch Dotationen ermöglicht, die bei den Ausgaben des Staates bereits berücksichtigt wurden und durch direkte Steuern, die sich als ein Teil der Kreissteuern darstellen. Die übrigen Einnahmen beliefen sich 1891 auf ca. 12 Mill. M.°%) (einschließlich: en abzüglich der Ausgaben für die Schuldenverwaltung viel- leicht auf 10 Mill. M. — Die Kreisabgaben betrugen 1891 20 Mill. M.!0), die Schuldaufnahmen und die Ausgaben für die Schuldenverwaltung mögen sich wenigstens ungefähr die Wage halten, so daß wir die Gesamtaufwendungen der ee ee soweit sie nicht anderweitig berücksichtigt sind, auf 30 Mill. M. veranschlagen können.
Die Gesamtsumme der hier zu berücksichtigenden Leistungen der Kom- munen betrugen danach
in den Landgemeinden 102 Mill. M. in den Städten 236 » » in den höheren Kommunalverbänden 30 „ »
Summe 368 Mill. M.
Die unentgeltlichen Leistungen der preußischen Kommunen im Jahre 1911 abzüglich der Ausgaben für die Schuldenver- waltung.
. Die Gesamtleistungen der Städte und Landgemeinden mit mehr als 10000 Einwohnern, soweit sie ohne spezielles Entgelt erfolgen, lassen sich für das Jahr 1907 nach den Angaben in der Denkschrift zur Reichsfinanzreform über die Einnahmen und Ausgaben dieser Gemeinden nach Verwaltun szweigen 101) ungefähr bestimmen, und dann auch für das Jahr 1911 auf Grund der Steige- rung der Gemeindeabgaben von 1907—1911 abschätzen.
99) Handbuch für den Preußischen Staat, Bd. 2, S. 628. 100) Ebenda, 8. 625. 101) Denkschriftenband 1 zur Reichsfinanzreform, S. 683 und 700.
48 Arthur Friedmann,
Ausgaben und Einnahmen der Gemeinden mit mehr als 10000 Ein- wohnern nach Verwaltungszweigen im Jahre 1907.
ohne spezielles Ent-
gelt erfolgende kom-
Aus- Ein- munale Leistungen gaben nahmen mit Ausnahme der Millionen Mark Ausgaben für die Schuldenverwaltung (geschätzt) Kämmereiverwaltung 44,7 78,1 -= Allgemeine Verwaltung 113,1 35,7 90 Steuerverwaltung 26,1 485,9 26,1
Polizeiverwaltung und Verwaltung son-
stiger Einrichtungen für die öffentliche
Sicherheit 47,9 7,5 44 Verwaltung der städtischen Werke, Markt-
hallen und der sonstigen Einrichtungen
für Lebensmittelversorgung 306,3 331,6 — Bildungs- und Kunstinstitute 242,3 69,5 172,8 Bauverwaltung 153,4 79,6 80 Armen-, Waisen- und Krankenverwaltung 110,8 40,1 79,7 Schuldenverwaltung 201,9 129,4 — Sonstige Verwaltungszweige 178,9 162,4 60
543,6
Die gesamten Steuern der Städte und Landgemeinden mit mehr als 10000 Einwohnern betrugen 1907 481,6 Mill. M.102), 1911 645,1 Mill. M.10), die Steiger also 33,90/,. Die Gesamtausgaben sind von 1907—1911 eher etwas stärker als die Steuern gestiegen, indem ein wachsender Anteil des Bedarfs aus den Ueberschüssen erwerbswirtschaftlicher Unternehmungen gedeckt wurde. Wir können danach die Gesamtsumme der ohne spezielles Entgelt erfolgenden ` Leistungen ausschließlich der Ausgaben für die Schuldenverwaltung in den Ge- ee mit mehr als 10000 Einwohnern für das Jahr 1911 auf 740 Mill. M.
ätzen. ;
Für die Gemeinden mit weniger als 10000 Einwohnern ist nur eine ungefähre Schätzung der unentgeltlichen Leistungen möglich. Die Abgaben dieser Gemeinden betrugen 1907 einschließlich der Abgaben beson- derer Schulverbände 174 Mill. M.10) oder 7,8 M. pro Kopf. ir rechnen für das Jahr 1911 die Gemeindeabgaben unter Hinzurechnung der übrigen kommunalen Einnahmen —, eines über den Wert der entsprechenden Leistung hinausgehenden Anteils der Gebühren, der Ueberschüsse aus Erwerbsunternehmen und der zu nicht werbenden Zwecken aufgenommenen Anleihen — zu 13,0 M. ro Kopf, das wäre bei einer Bevölkerungszahl von 22,5 Mill. 293 Mill. M. on dieser Summe wären die Ausgaben für Eege hue in Abzug zu bringen. Die Schulden der Gemeinden mit weniger als 10000 Einwohnern be- trugen 1907 717 Mill. M. 104), 1911 schätzungsweise 900 Mill. M., die Ausgaben für Verzinsung und Tilgung der Schulden also ca. 45 Mill. M. Es bleiben als unentgeltliche Leistungen der Gemeinden mit weniger als 10000 Einwohnern 248 Mill. M.
Die Leistungen der höheren Kommunalverbände wären wieder nur soweit zu berücksichtigen, als dies nicht bereits an anderer Stelle geschehen ist. Die Zuwendungen des Staates an die Provinzialverbände wurden zu den Ausgaben des Staates hinzugerechnet; die direkten Steuern der Provinzen, die nach dem Kreis- und Provinzialabgabengesetz des Jahres 1906 auf die Kreise um- gelegt werden, werden schon bei den Leistungen des Kreises berechnet, und ebenso finden die direkten Kreissteuern, die auf die Gemeinden umgelegt werden,
102) Reichstagsdenkschrift für Reichsfinanzreform, I, S. 636. 103) Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat, 1912, S. 619. 104) Reichstagsdenkschrift zur Reichsfinanzreform, I, S. 663.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 49
bei den Aufwendungen der Kommunen Berücksichtigung. — Für die Provinzial- rerbände wären hauptsächlich noch diejenigen Leistungen in Betracht zu ziehen, die durch die Einkünfte aus eigenem Vermögen ermöglicht werden. 1903 kamen auf 30 Mill. M. Steuern ca. 15 Mill. M. Einnahmen aus dem Ver- mögen 15), 1911 auf 56 Mill. M. Steuern schätzungsweise 25 Mill. M. Die Schuldaufnahmen im Jahre 1911 betrugen nach einem Vergleich des Schulden- standes von 1911 und 1912196) ca. 30 Mill. M.; wir rechnen 25 Mill. M. zu nicht gewerblichen Zwecken. Die Ausgaben für Schuldenverwaltung können bei 340 Mill. M. Schulden auf 17 Mill. M. geschätzt werden 1), so daß von den anderweitig nicht berücksichtigten Aufwendungen der Provinzialverbände noch 33 Mill. fr. zu zählen wären.
Die indirekten Steuern der Kreise betrugen 1911 22 Mill. M., die Schulden- aufnahmen nach einem Vergleich des Schuldenstandes der Jahre 1911 und 1912108) ca. 50 Mill. M., wovon wir 30 Mill. M. für Aufwendungen zu nicht gewerblichen Zwecken rechnen. Von diesen Ausgaben sind ca. 32 Mill. M. Aufwendungen für die Schuldenverwaltung in Abzug zu bringen (der Schulden- stand betrug 617 Mill M..). Es bleiben somit 20 Mill. M. anderweitig nicht berücksichtigte Leistungen der Kreise.
Die Gesamtsumme der unentgeltlichen Leistungen der Kommunen abzüg- lich der Ausgaben für die Schuldenverwaltung betrug also
in den Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern 740 Mill. M. in den Gemeinden mit weniger als 10 000 Einwohnern gé 97 Ze in den höheren Kommunalverbänden (soweit nicht anderweitig berück-
siehtigt) 3 un
zusammen 1041 Mill. M.
Bej der Berechnung der staatlichen und kommunalen Leistungen wurden auch diejenigen Aufwendungen mitgerechnet, die ganz oder teilweise der Nutznießung kommender Jahre dienen, beispielsweise die Kosten neu errichteter öffentlicher Gebäude. Auf der anderen Seite blieb bei der alleinigen Berücksichtigung der in den beiden Jahren gemachten staatlichen Aufwendungen die Nutznießung des in den betreffenden Jahren bereits vorhandenen öffentlichen Gebrauchs- vermögens außer Betracht. Der Anteil dieses Gebrauchsvermögens, der auf die Nutzung der Jahre 1891 und 1911 zu rechnen ist, ist wahrscheinlich geringer als der Wert des in diesen Jahren neu be- schafften Nutzungsvermögens. — Der Nutzungswert der staatlichen und kommunalen gewerblichen Anlagen muß ebenso wie die Aufwendungen zu sonstigen erwerbswirtschaftlichen Zwecken un- berücksichtigt bleiben. Wenn die Leistungen dieser Unternehmungen auch großenteils erst von der Zukunft bezahlt werden, so wurde doch andererseits bei Bestimmung des privaten Konsums die Nutzung des bereits früher beschafften staatlichen Gebrauchsvermögens mitgezählt (Aufwendungen für Eisenbahnfahrten etc.).
‚Um die tatsächliche Steigerung der staatlichen Leistungen be- urteilen zu können, müssen wir wiederum die Aenderung der Kauf- kraft des Geldes in Rechnung ziehen. Wie die private Lebenshal- tung sind auch die staatlichen Leistungen zum großen Teil teuerer
105) Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat, 1909, S. 314.
106) Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat, 1912, S. 589.
107) 1903 betrugen die Ausgaben für Verzinsung und Tilgung der Schulden <a. 5%. Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat, 1909, S. 314.
108) Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat, 1912, S. 591.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIIN. 4
50 ArthurFriedmann,
geworden; so mögen die Beamtengehälter von 1891—1911 um etwa 20% gestiegen sein. Auch die Herstellung öffentlicher Bauten ist durchweg (besonders wegen der höheren Arbeitslöhne) kostspieliger geworden. Die Verpflegung in Kranken- und Armenhäusern er- fordert bei den teueren Lebensmittelpreisen vermehrte Aufwendun- gen. Ob andererseits durch eine bessere Organisation der Verwal- tung eine erhebliche Verbilligung gleicher Leistungen erzielt wurde, ist schwer zu beurteilen. — Im besonderen ist bei der Bestim- mung des Realwertes staatlicher Leistungen noch zu berücksich- tigen, daß speziell die Kommunen heute einzelne relativ wertvolle Tätigkeiten in viel größerem Umfange als vor 20 Jahren ausüben. Die vermehrten Ausgaben für Kranken- und Armenpflege bedeuten für diejenigen Personen, denen sie zugute kommen, sehr viel mehr als die gleichen Summen für den Durchschnitt der Be- völkerung. Absolut sind allerdings die Ausgaben für Armen- und Krankenpflege nicht so erheblich gestiegen. In Berlin wurden 1891 6,50 M., 1911 15 M. pro Kopf der Bevölkerung für die Fürsorge für Arme und Kranke ausgegeben. In sämtlichen preußischen Gemein- den mit mehr als 10000 Einwohnern betrugen 1907 die unentgelt- lichen Aufwendungen für Krankenhausverwaltung und Armenwesen 7,05 M. pro Kopf der Bevölkerung 109),
Einen ähnlichen Wert wie die letztgenannten staatlichen Leistungen haben die Leistungen der Öffentlichen Versicherungs- anstalten. Die Ausgaben der deutschen Krankenkassen betrugen 1891 erst 19 Mill. M. oder 2 M. pro Kopf der Gesamtbevölke- rung, 1911 423 Mill. M. oder 6,50 M. pro Kopf. Da die Leistungen der Alters und Invaliden- und der Unfallversicherung im allgemeinen in Form einer Rente erfolgen, wurden dieselben genau genommen, bereits bei Feststellung des Einkommens berücksichtigt. Die ordent- lichen Ausgaben der Alters- und Invalidenversicherung stellten sich 1891 nur auf 25 Mill. M. oder 0,50 M. pro Kopf der Gesamtbevölke- rung, 1911 auf 226 Mill. M. oder 3,50 M. pro Kopf, die ordent- lichen Ausgaben der Unfallversicherung 1891 auf 13 Mill. M. oder 0,25 M. pro Kopf, 1911 auf 197 Mill. M. oder 3 M. pro Kopf. — Endlich wären die Leistungen der Lebensversicherungsanstalten an dieser Stelle zu besprechen. Bei der Steuerveranlagung werden die Lebensversicherungsprämien bis zur Höhe von 600 M., ebenso wie die Beiträge zur Arbeiterversicherung in Abzug gebracht. Da außer- dem die Zahlungen der Versicherungsgesellschaften im allgemeinen nicht in Rentenform erfolgen, blieben die Leistungen bei der früheren Bemessung des privaten Konsums (an Hand des Einkommens) außer Betracht. Die Lebensversicherungsgesellschaften zahlten im Jahre 1896 nur 85 Mill. M.110), das sind 1,60 M. pro Kopf der Be- völkerung, 1911 292 Mill. M.111) oder 4,40 M. pro Kopf. — Auch
109) Reichstagadenkschrift zur Reichsfinanzreform, Bd. 1, S8. 663 und 700. 110) Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs, 1898 I, 8. 137. k 111) Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 1912, S. 875.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 51
die Leistungen der Arbeiterverbände sind, wenn auch nicht zahlen- mäßig, so doch wegen des hohen subjektiven Wertes der Unter- stützung, besonders bei Arbeitslosigkeit, erheblich. Dieselben be- trugen 1911 70 Mill. M. oder 1 M. pro Kopf der Gesamtbevölkerung, 1891 waren sie nur gering.
Welchen Anteil die verschieden hohen Einkommen im allge- meinen an der Steigerung der staatlichen und kommunalen Leistungen gehabt haben, wäre nicht leicht zu entscheiden. — Die Ausgaben der Kommunen für Arme und Kranke, sowie die Leistungen der öffentlichen Versicherungsanstalten kommen allerdings allein den niederen und eventuell den mittleren Einkommen zugute, doch sind diese Auf- wendungen, wie die oben genannten Zahlen zeigen, im Vergleich zu den privaten Einkommen so gering, daß auch bei Hinzurechnung der betreffenden Summen zum Einkommen der weniger wohlhabenden Bevölkerung, unsere früheren Angaben über die verhältnismäßige Steigerung der niederen Einkommen keine wesentliche Korrektur erfahren würden.
Zusammenfassung.
Wir haben in dieser Arbeit die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911 an Hand der Einkommensverhältnisse studiert und sind dabei zu folgendem Ergebnis gekommen:
Das Durchschnittseinkommen nahm (abzügl. aller Steuer- leistungen) nominell von ca. 396 M. auf ca. 566 M. oder um 430% zu. Da sich die Lebenshaltung in dem gleichen Zeitraume um etwa 17%o verteuerte, so hat das Durchschnittseinkommen dem Realwerte nach nur eine Steigerung von ca. 220% erfahren. — An dieser Zunahme hatten die hohen und niederen Einkonm- men anscheinend einen verhältnismäßig gleichen (den frühe- ren Einkommensunterschieden entsprechenden) Anteil, so daß die Eiinkommensverteilung im Laufe jener 20 Jahre keine erhebliche Aenderung erfuhr. — Zur Beurteilung der Lebens- haltung sind neben dem aus dem Einkommen bestrittenen Konsum auch die unentgeltlichen staatlichen Leistungen zu be- rücksichtigen, die sich (einschließlich der Leistungen der öffentlichen Versicherungsanstalten) in der gleichen Periode — berechnet auf den Kopf der Bevölkerung — von 35 M. auf 73 M. vermehrten.
52 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
I
Die wirtschaftliche Gesetzgebung Preußens im Jahre 1913.
Preußische Gesetzsammlung 1913.
Gesetz, betreffend die Verpflichtung zum Besuch ländlicher Fort- bildungsschulen in den Provinzen Brandenburg, Pommern, Sachsen, Schleswig-Holstein, Westfalen, sowie in der Rheinprovinz und in den Hohenzollernschen Landen. Vom 19. Mai 1913. S. 301.
Einziger Paragraph. 1) Durch statutarische Bestimmung einer Gemeinde kann für die nicht mehr schulpflichtigen, unter 18 Jahre alten männlichen Personen für drei aufeinanderfolgende Winterhalbjahre die Verpflichtung zum Besuch einer ländlichen Kon pg aeia begründet werden. 2) In gleichem Umfange kann in den Provinzen Brandenburg, Pommern, Sachsen, Westfalen sowie der Rheinprovinz und in den Hohenzollernschen Landen für Gutsbezirke mit Zustimmung des Gutsbesitzers auf Antrag des Gutsvorstehers durch Be- schluß des Kreisausschusses die Verpflichtung zum Besuche einer ländlichen Fortbildungsschule begründet werden. 3) In der Provinz Schleswig-Holstein kann die Verpflichtung zum Besuche einer ländlichen Fortbildungsschule in dem im Abs. 1 begrenzten Umfange auch durch Beschluß des Kreisaus- schusses für sämtliche oder einzelne Landgemeinden und Gutsbezirke einge- führt werden. Ein derartiger Beschluß bedarf der Zustimmung des Regierungs- präsidenten. a In dem Statut (Abs. 1) oder dem Beschluß (Abs. 2, 3) sind die zur Durchführung der Verpflichtung erforderlichen Bestimmungen zu treffen, namentlich über die zur Sicherung eines regelmäßigen Schulbesuches den Schulpflichtigen sowie deren Eltern, Vormündern und Arbeitgebern ob- liegenden Verpflichtungen, über die Ordnung in der Fortbildungsschule und über die Fürsorge für ein gebührliches Verhalten der Schüler. Die Zeiten für den Unterricht sind vom Gemeindevorstand und in den Fällen der Abs. 2, 3 vom Kreisausschusse festzusetzen und in ortsüblicher Weise bekannt zu machen. 5) Von der Verpflichtung zum Besuch einer Fortbildungsschule ist befreit, wer die Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Militärdienst erworben hat, ferner, wer eine che Innungs-, Fach- oder andere Fortbildungsschule be- sucht oder einen entsprechenden anderen Unterricht erhält, sofern dieser Schulbesuch oder Unterricht von dem Regierungspräsidenten als ein ausreichen- der Ersatz für den allgemeinen Forkbildangeunberticht anerkannt wird. Die Bestimmung weiterer Ausnahmen durch das Statut ist zulässig. 6) An Sonn- tagen darf in der Regel Unterricht nicht erteilt werden. 7) Mit Geldstrafe bis zu 20 M. und im Unvermögensfalle mit Haft bis zu 3 Tagen für jeden Fall wird bestraft, wer den vorstehenden oder den durch Statut oder Beschluß erlassenen Bestimmungen zuwider handelt.
Moorschutzgesetz. Vom 4. März 1913. S. 29.
1. Grundstücke, die allein oder mit anderen eine zusammenhängende Moorfläche von mehr als 25 Hektar bilden, dürfen, soweit das Gemeinwohl
Nationalökonomische Gesetzgebung. 53
unter Abvigmg der Interessen der Beteiligten es verlangt, zur Gewinnung von Torf nur in der Weise benutzt werden, daß die Möglichkeit ihrer vorteil- haften land- oder forstwirtschaftlichen Nutzung gesichert wird. Abs. 2. Die Benutzung solcher Grundstücke zur Torfgewinnung bedarf, abgesehen von den Fällen des § 2, der Genehmigung des Bezirksausschusses.
§ 2. Einer Genehmigung bedarf nicht: 1) die Gewinnung von Torf für die eigene Haushaltung und Wirtschaft durch den Eigentümer, den Pächter, einen Torfstichberechtigten oder durch ländliche Arbeiter, welche in einem dauernden Arbeitsverhältnisse zu dem Eigentümer der Moorfläche stehen, soweit ihnen durch den Arbeitsvertrag die Torfgewinnung für die Zwecke ihrer eigenen Haushaltung und Wirtschaft zugesichert ist (Heuerlinge, Instleute) ; 2) die Gewinnung von Torf zum Zwecke des Verkaufs, wenn sie mit nicht mehr als 6 Personen und nicht mit maschineller Kraft betrieben wird. Abs. 2. Als Wirtschaft gelten der landwirtschaftliche Haus- und Hofbetrieb mit Einschluß der landwirtschaftlichen Nebenbetriebe von geringem Umfange, sowie klein- gewerbliche Betriebe von E Umfange. Abs. 3. In den Fällen der Nr. 1 und 2 können durch Kreispolizeiverordnung Vorschriften für die Torfgewin- nung erlassen werden, durch welche die Möglichkeit einer vorteilhaften land- oder forstwirtschaftlichen Nutzung gesichert wird.
$ 3. Dem Antrag auf Erteilung der Genehmigung müssen die zur Er- bie des Unternehmens notwendigen Pläne und Beschreibungen beigefügt werden.
$ 4. Der Genehmigungsbeschluß trifft die zur Durchführung des $ 1 Abs. 1 etwa erforderlichen Bestimmungen. Abs. 2. Dem Unternehmer kann in dem Genehmigungsbeschlusse die Leistung einer Sicherheit für die Ein- ite des genehmigten Planes und der getroffenen Bestimmungen aufgegeben werden.
$ 5. Vor der Beschlußfassung sind über den Antrag eine durch den Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten zu bestimmende sachver- ständige Stelle sowie der Meliorationsbaubeamte zu hören. Auf Verlangen ist auch ein von den Beteiligten etwa benannter Sachverständiger zu hören. Auf Antrag eines Beteiligten findet mündliche Verhandlung vor dem Bezirks- ausschusse statt. Die sachverständige Stelle sowie der Meberatiönabsubeamte sind auch zu hören, wenn gemäß: $ 2 Abs. 3 kreispolizeiliche Vorschriften für die Torfgewinnung erlassen werden sollen. Abs. 2. Gegen den Beschluß des Bezirksausschusses steht den Beteiligten binnen 2 Wochen die Beschwerde an den Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten zu.
§ 6. Bei der Ausführung des Unternehmens hat der Landrat, in Stadt- kreisen die Ortspolizeibehörde, für die Einhaltung des genehmigten Planes und der getroffenen Bestimmungen zu sorgen. Sie können zu diesem Zweck polizeiliche Verfügungen erlassen. Abs. 2. Wesentliche Abweichungen von dem genehmigten Plane oder den getroffenen Bestimmungen bedürfen der Ge- nehmigung nach Maßgabe der 1, 3 bis 5.
7. Die Benutzung von Moorgrundstücken ohne die nach diesem Gesetz erforderliche Genehmigung ist vom Landrat, in Stadtkreisen von der Orts- polizeibehörde, polizeilich zu verhindern.
` 8. In den Städten, deren Polizeiverwaltung der Aufsicht des Landrats nicht untersteht, tritt in den Fällen der $$ 6 und 7 an Stelle des Landrats die Ortspolizeibehörde.
$ 9. Unternehmungen, die bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes mit der Torfgewinnung bereits begonnen haben, dürfen ohne die in diesem Gesetze vor- gesehenen Beschränkungen 6 Monate lang in dem bisherigen Umfange fort- aoii werden. Abs. 2. Kann über einen Genehmigungsantrag nicht vor dem
laufe der 6-monatigen Frist entschieden werden, so chließt der Bezirks- ausschuß darüber, ob die vorläufige Weiterführung des Unternehmens zu ge- nehmigen ist. Diese Genehmigung muß erteilt werden, wenn über den Ge- nehmigungsantrag ohne Verschulden des Antragstellers vor Ablauf der Frist nicht entschieden werden kann. Gegen den Beschluß des Bezirksausschusses steht dem Antragsteller binnen 2 Wochen die Beschwerde an den Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten zu. i
§ 10. Dieses Gesetz tritt am 1. April 1913 in Kraft.
54 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Verordnung über das Anwendungsgebiet des Besitzfestigungsge- setzes vom 26. Juni 1912. Vom 12. März 1913. S. 33.
Verordnung über die Einführung des Gesetzes, betreffend die Zu- lassung einer Verschuldungsgrenze für land- oder forstwirtschaftlich genutzto Grundstücke, vom 20. August 1906 in allen Landesteilen — mit Ausnahme des Stadtkreises Berlin —, in denen es nicht schon nach den Verordnungen vom 23. März 1908 und vom 16. Juni 1909 gilt. Vom 5. Mai 1913. S. 274.
Gesetz, betreffend Abänderung von Zusammenlegungs- und Gemein- heitsteilungsgesetzen. Vom 28. Mai 1913. S. 285.
Gesetz, betreffend die Bereitstellung von Staatsmitteln zur Förde-
der Landeskultur und der inneren Kolonisation. Vom 28. Mai 1913. S. 293. .
Wassergesetz. Vom 7. April 1913. S. 53.
A. Wasserläufe. I. Begrif' und Arten. II. Eigentumsverhältnisse. III. Be- nutzung. 1) Allgemeine Vorschriften. 2) Gemeingebrauch. $) Benutzung durch den Eigentümer. 4) Verleihung. 5) Ausgleichung. 6) Stauanlagen. IV. Unterhaltung. V. Ausbau. VI. Beteiligung des Staates und der Provinzen an dem Ausbau der Wasser- läufe zweiter Ordnung. VII. Wasserbücher. B. Gewässer, die nicht zu den Wasserläufen gehören. C. Wassergenossenschaften. I. Allgemeine Vorschriften. II. Genossenschaften mit Zulässigkeit des Beitrittszwanges. III. Zwangsgenossenschaften. IV. Verfahren zur Bildung von Genossenschaften. V. Aenderung der Satzung. VI. Auflösung und Liquidation. VII. Genossenschaften, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes begründet sind. D. Verhütung von Hochwassergefahr.) E. Zwangsrechte. F. Wasserpolizeibehörden. G. Schauämter. H. Wasserbeirüte. I. Landeswasseramt. K. Strafbestimmungen. L. Uebergangs- und Schlußbestimmungen.
Rawagesetz. Vom 21. April 1913. S. 238.
Sesekegesetz. Vom 5. Juni 1913. S. 329.
Entwässerungsgesetz für das linksniederrheinische Industriegebiet. Vom 29. April 1913. S. 251.
Ruhrreinhaltungsgesetz. Vom 5. Juni 1913. S. 305.
Ruhrtalsperrengesetz. Vom 5. Juni 1913. S. 317.
Gesetz, betreffend den Ausbau von Wasserkräften im oberen Quell- gebiet der Weser. Vom 9. Juni 1913. S. 343.
Gesetz über die Bereitstellung weiterer Geldmittel für die nach dem Gesetz vom 12. August 1905 durchzuführende Regelung der Hochwasser-, Deich- und Vorflutverhältnisse an der oberen und mitt- leren Oder. Vom 30. Mai 1913. S. 273.
Gesetz, betreffend die Verbesserung der Oderwasserstraße unter- halb Breslau. Vom 30. Juni 1913. S. 359.
Gesetz, betreffend den Ausbau der Unterweser durch Bremen. Vom 29. Juli 1913. S. 386.
Verordnung über die Abänderung der Verordnung, betreffend die Ausführung des Fischereigesetzes in der Provinz Schleswig-Holstein, vom 8. August 1887. Vom 31. März 1913. S. 39. Entsprechende Verordnung für die Provinz Hannover. Vom 31. März 1913. S. 40.
Gesetz zur Berichtigung des Gesetzes vom 3. Juni 1912, betreffend die Abänderung des Siebenten Titels im Allgemeinen Berggesetze vom 24. Juni 1865/19. Juni 1906. Vom 23. Dezember 1912. S. 1. Be- kanntmachung, betreffend die Aenderung des Textes des § 70 Abs. 2
Nationalökonomische Gesetzgebung. 55
des Knappschaftsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Juni 1912. Vom 30. Dezember 1912. S. 2.
Allerhöchster Erlaß, betreffend Genehmigung eines Nachtrages zu der Verwaltungsordnung für die Staatseisenbahnen. Vom 23. August 1912. S. 35.
Staatsvertrag zwischen Preußen und Sachsen, betreffend eine Aenderung der Vereinbarungen über die staatliche Besteuerung der im Königreich Sachsen belegenen preußischen Staatseisenbahnstrecken. Vom 6./25. August 1913. S. 399.
Eisenbahnanleihegesetz. Vom 28. Mai 1913. S. 277. Eisenbahn- anleihegesetz. Vom 9. Juni 1913. S. 326. Allerhöchster Erlaß, be- treffend Bau und Betrieb der in dem Gesetze vom 28. Mai 1913 vor- gesehenen neuen Eisenbahnlinien usw. Vom 5. Juli 1913. S. 363.
Gesetz, betreffend das Schleppmonopol auf dem Rhein-Weser-Kanal und dem Lippe-Kanal. Vom 30. April 1913. S. 217.
$ 1. Fahrzeuge (Schiffe und Flöße), die nicht von Menschen oder Tieren EC werden oder nicht mit eigener Kraft fahren ($ 2), dürfen auf dem hein-Weser-Kanal und dem Lippe-Kanal nur mit der vom Staate vorzu- haltenden Schleppkraft fortbewegt werden. Zum Rhein-Weser-Kanal im Sinne dieses Gesetzes gehören der Anschluß nach Hannover, die Zweigkanäle nach Herne, Dortmund, Osnabrück, Minden (Weserabstieg) und Linden mit Leine- abstieg, ferner der Duisburg-Ruhrorter Hafen, dieser jedoch nur bezüglich des durchgehenden Verkehrs zwischen Rhein und Kanal. Das Verlegen eines Fahrzeuges von einem Lösch- und Ladeplatze zu einem anderen innerhalb einer Kanalhaltung, jedoch höchstens auf 10 Kilometer Entfernung, kann ohne Inanspruchnahme staatlicher Schleppmittel zugelassen werden. Abs. 2. Die Staatsregierung wird ferner ermächtigt, Fahrzeuge, die auf einer Fahrt zwischen dem Rhein und Mülheim a. d. Ruhr lediglich die untere Haltung des Rhein- Herne-Kanals benutzen, vom staatlichen Schle betriebe freizulassen. Abs. 3. Fahrzeuge, die lediglich den Dortmund-( Herne) mshäfen-Kanal benutzen, sind in den ersten 15 Jahren seit Inbetriebnahme des Rhein-Weser-Kanals von dem staatlichen Schleppbetriebe freizulassen. Nach Ablauf dieser Zeit oder wenn eine reg mechanische Schleppeinrichtung eingeführt wird, die ein Nebeneinanderbestehen des staatlichen und privaten Schleppzuges untunlich macht, kann durch Königliche Ve er staatliche Schleppbetrieb ein- ep werden. In diesen Fällen wird die Frage etwaiger Entschä igung einem nderen Gesetze vorbehalten. Abs. 4. Auf der Strecke Dortmund—Henrichen- burg kann vorübergehend zu Versuchen mechanischer Schleppeinrichtung private ee ausgeschlossen werden, insoweit dieses für die Versuche not- wendig ist. ; 2. Fahrzeuge mit eigener Triebkraft dürfen die Wasserstraßen, soweit diese dem staatlichen Schleppmonopol unterliegen, nur mit besonderer Ge- nehmigung der Kanalverwaltung befahren. Diese Genehmigung ist für das einzelne Schiff widerruflich zu erteilen.
„$ 3. Die Tarife, nach denen der Schlepplohn zu entrichten ist, bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Veröffentlichu im Amtsblatte. Ist in dem Tarife nicht ein anderer Zeitpunkt für das rafttreten angeordnet, so beginnt die Anwendung mit dem achten Tage nach dem Ablauf desjenigen Tages, an welchem das letzte die Bekanntmachung enthaltende Amtsblatt ausgegeben ist. Die Tarife sind bei Erfüllung der darin angegebenen Bedingungen für jedermann in der gleichen Weise anzuwenden.
$ 4. Der staatliche Schleppbetrieb erfolgt auf Grund einer Schlepp- ordnung. die von dem Minister dx öffentlichen Arbeiten zu erlassen ist. A 5. Die Staatsregierung wird semiotiek r die Einrichtung des staat- lichen Schleppbetriebs einen Betrag von 9900 M. zu verwenden.
56 Nationalökonomische Gesetzgebung.
§ 6. Die öffentlichen Verbände, welche die im $ 2 des Wasserstraßen- esetzes vom 1. April 1905 genannten Garantieverpflichtungen übernommen aben, werden an dem staatlichen Schleppbetriebe beteiligt, wenn sie sich vor dem 1. Juli 1913 der Staatsregierung gegenüber SE ee vom Tage der Betriebseröffnung ($ 15) an ein Viertel der für den Betrieb verausgabten Anlagekosten aus eigenen Mitteln in jedem Rechnungsjahre mit 4 Proz. zu verzinsen und mit Lt Proz. zu tilgen, soweit die laufenden Einnahmen des Schleppbetriebs nach or der aufgewendeten Betriebs- und Unterhaltungs- kosten und angemessener Rücklagen ($ 9) zur Verzinsung und Tilgung es verausgabten Anlagekapitals mit zusammen Ji Proz. nicht ausreichen. Abs. 2. Will ein Verband die Verpflichtung nicht übernehmen, so können die anderen Verbände für dessen Anteil mit eintreten. Abs. 3. Im Falle der Uebernahme der im Abs. 1 genannten Verpflichtung gelten für das Verhältnis zwischen dem Staate und den Verbänden die §§ 7—13.
$ 7. Bei der Verzinsung und Tilgung des Anlagekapitals ($ 6) werden nicht nur die auf Grund des $ 5 verausgabten ‘Beträge berücksichtigt, sondern auch die Kosten von Aenderungen oder Ergänzungen des Schleppbetriebs, die von dem zuständigen Minister etwa später für erforderlich gehalten werden, um den Verkehr in einer dem öffentlichen Interesse entsprechenden Weise durchführen zu können. Bei wesentlichen Aenderungen und Ergänzungen sind die Vertreter der Garantieverbände zu hören.
$ 8. Die laufenden Einnahmen aus dem Schleppbetriebe sind in jedem Rechnungsjahr in nachstehender Reihenfolge zu verwenden: a) zur Deckung der aufgewendeten Betriebs- und Unterhaltungskosten ; b) zur Bildung eines Erneuerungsfonds für die einer besonderen Abnutzung unterliegenden Ein- richtungen ($ 9); c) zur Verzinsung und Tilgung des Anlagekapitals mit A1: Proz.; d) zur Bildung eines Ausgleichsfon ür die Deckung etwaiger Fehlbeträge (§ 10). Abs. 2. Der verbleibende Reinüberschuß wird an den Staat und die Garanten nach Verhältnis der übernommenen Kostenanteile verteilt. Abs. 3. Außergewöhnliche Einnahmen fließen, soweit sie nicht dem Baufonds zuzuführen sind, dem Ausgleichsfonds ($ 10) zu.
$ 9. Zum Zwecke der Erneuerung der einer besonderen Abnutzung unterliegenden Teile der Schleppeinrichtung wird ein Erneuerungsfonds ($ ZO ebildet, dem alljährlich ein angemessener Satz vom Hundert der für diese eile aufgewendeten Kosten aus den nach Deckung der Betriebs- und Unter- haltungskosten verbleibenden Reineinnahmen zuzuführen ist. Reichen die Rein- einnahmen eines Jahres zur Abführung des erforderlichen Betrags nicht aus, so ist der Fehlbetrag in den folgenden Jahren zu ergänzen, bevor Beträge zur Verzinsung und Tilgang des Anlagekapitals verwandt werden.
$ 10. Zur Deckung unvorhergesehener Ausfälle und Ausgaben wird ein Ausgleichsfonds ($ 8d) gebildet. Diesem Fonds fließen — abgesehen von den außergewöhnlichen Einnahmen ($ 8 Abs. 3) — 20 Proz. des nach Ver- zinsung und a, Ke des Anlagekapitals mit 4!/, Proz. verbleibenden Rein- Myene eeneg zu, bis der Fonds 10 Proz. des verausgabten Anlagekapitals er- reic at.
$ 11. Die Beträge, welche von den beteiligten Verbänden auf Grund der übernommenen Verpflichtung der Staatskasse oder jenen von dieser zu er- statten sind, ebenso die Beträge, die den Erneuerungs- und Ausgleichsfonds zuzuführen oder zu entnehmen sind, werden nach Anhörung von Vertretern der Garantieverbände für jedes Rechnungsjahr von dem zuständigen Minister und dem Finanzminister endgültig festgestellt.
BS 12. Bei der Aufbringung‘ und Unterverteilung der aus dieser Ver- pflichtung den Provinzen, Kreisen und Gemeinden erwachsenen Lasten finden die gesetzlichen Vorschriften über die Mehr- und Minderbelastung einzelner Kreise und Kreisteile sowie der $$ 9 und 20 des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893 Anwendung.
$ 13. Die Urkunden, durch welche die im $ 6 genannten Verpflichtungen übernommen werden, sind stempelfrei.
$ 14. Die ae wird ermächtigt, zur Deckung der im $ 5 erwähnten Kosten eine Anleihe durch Veräußerung eines entsprechenden Betrags
Nationalökonomische Gesetzgebung. 57
von Schuldverschreibungen aufzunehmen. Abs. 2. An Stelle der Schuld- verschreibungen können vorübergehend Schatzanweisungen ausgegeben werden. Der Fälligkeitstermin ist in den Schatzanweisungen anzugeben. Die Staats- regierung wird ermächtigt, die Mittel zur Einlösung dieser Schatzanweisungen durch Ausgabe von neuen Schatzanweisungen und von Schuldverschreibungen in dem erforderlichen Nennbetrage zu beschaffen. Die Schatzanweisungen können wiederholt EC werden. Schatzanweisungen oder Schuldver- schreibungen, die zur Einlösung von fällig werdenden Schatzanweisungen be- stimmt sind, hat die Hauptverwaltung der Staatsschulden auf Anordnung des Finanzministers 14 Tage vor dem Fälligkeitstermine zur Verfügung zu halten. Abs. 3. Die Verzinsung der neuen Schuldpapiere darf nicht vor dem Zeit- punkt beginnen, mit dem die Verzinsung der einzulösenden Schatzanweisungen aufhört. Abs. 4. Wann, durch welche Stelle und in welchen Beträgen, zu welchem Zinsfuße, zu welchen Bedingungen der Kündigung und zu welchen Kursen die Schatzanweisungen und die Schuldverschreibungen verausgabt werden sollen, bestimmt der Finanzminister. Abs. 5. Im übrigen kommen wegen Verwaltung und Tilgung der Anleihe die Vorschriften des Gesetzes vom 19, Dezember 1869, des Gesetzes vom 8. März 1897 und des Gesetzes vom 3. Mai 1903 zur Anwendung.
$ 15. Die Vorschriften der Së 1 und 2 des Gesetzes treten für die einzelnen Wasserstraßen mit dem Zeitpunkt in Kraft, an dem der zuständige Minister den Betrieb auf ihnen für eröffnet erklärt. Im übrigen tritt das Gesetz sofort in Kraft.
Gesetz, betreffend die Bewilligung weiterer Staatsmittel zur Ver- besserung der Wohnungsverhältnisse von Arbeitern, die in staatlichen Betrieben beschäftigt sind, und von gering besoldeten Staatsbeamten. Vom 28. Mai 1913. S. 270.
Verordnung über das schiedsgerichtliche Verfahren bei knapp- schaftlichen Streitigkeiten (Schiedsgerichtsordnung). Vom 8. Dezember 1913. S. 403. Verordnung über das Verfahren vor dem Oberschieds- gericht in Knappschaftsangelegenheiten (Oberschiedsgerichtsordnung). Vom 8. Dezember 1913. S. 420.
Gesetz, betreffend die Feststellung eines Nachtrags zum Staats- haushaltsetat für das Etatsjahr 1912. Vom 10. Februar 1913. S. 17.
Gesetz, betreffend die Feststellung des Staatshaushaltsetats für das Etatsjahr 1913. Vom 10. Mai 1913. S. 193.
$ 1. Der diesem Gesetze als Anlage beigefügte Staatshaushaltsetat für das Etatsjahr 1913 wird in Einnahme auf 4595736227 M., nämlich auf 4575827827 M. an ordentlichen und auf 19908400 M. an außerordentlichen Einnahmen, und in Ausgabe auf 4595736227 M., nämlich auf 4350749271 M. an dauernden und auf 244986956 M. an einmaligen und außerordentlichen Ausgaben festgesetzt. Ka
$ 3. Im Etatsjahre 1913 können nach Anordnung des Finanzministers zur vorübergehenden Verstärkung des Betriebsfonds der Generalstaatskasse
atzanweisungen bis auf Höhe von 100000000 M., welche vor dem 1. Januar 1915 verfallen müssen, wiederholt ausgegeben werden. Auf dieselben finden die Bestimmungen des § 4 Abs. 1 und 2 und des § 6 des Gesetzes vom 28. September 1866 Anwendung.
4. Die bis zur gesetzlichen Feststellung des Staatshaushaltsetats ($ 1) und der Anlage dazu dë 2) innerhalb der Grenzen derselben geleisteten Aus- gaben werden hiermit nachträglich genehmigt.
Bekanntmachung, betreffend die Weitergeltung kommunaler Wert- zu wachssteuerordnungen. Vom A Juli 1913. S. 365.
N erordnung, betreffend die für die Veranlagung des Wehrbeitrages zuständigen Behörden. Vom 7. August 1913. S. 371.
58 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Allerhöchster Erlaß, betreffend die Ermächtigung, die nach den Gesetzen über die direkten Steuern durch gerichtliches rechtskräftiges Urteil auferlegten Geld- und Ersatzhaftstrafen und die wegen Zu- widerhandlungen gegen §§ 33 und 147 der Gewerbeordnung gericht- lich erkannten Geld- und Ersatzhaftstrafen sowie die Kosten des Verfahrens niederzuschlagen oder zu ermäßigen, ferner mit Rücksicht auf ein Gnadengesuch bis zu dessen endgültiger Entscheidung die Aus- setzung der Strafvollstreckung anzuordnen. Vom 15. August 1913. S. 389.
Gesetz, betreffend die Anlegung von Sparkassenbeständen in In- haberpapieren. Vom 23. Dezember 1912. S. 3.
$ 1. Die öffentlichen Sparkassen haben von ihrem verzinslich ange- legten Vermögen Mindestbeträge in mündelsicheren Schuldverschreibungen auf den Inhaber anzulegen, und zwar: 1) 15 Proz., wenn ihr Einlag tand 5 Mill. M. nicht übersteigt und sich ihre Grundstücksbeleihungen und die Gewährung von Darlehen als Personalkredit nach der Satzung künftig auf den Stadt- oder Landkreis, in dem der Garantiebezirk belegen ist, beschränken ; 2) 20 Proz., wenn ihr Einlagebestand 10 Mill. M. nicht übersteigt und sich ihre Ausleihungen (Nr. 1) nach der Satzung künftig auf den Stadt- und Landkreis, in dem der Garantiebezirk belegen ist, und die angrenzenden Kreise beschränken ; 3) 25 Proz. in allen anderen Fällen.
. Von dem nach $ 1 von der einzelnen Sparkasse zu haltenden Mindestbestand an mündelsicheren Schuldverschreibungen auf den Inhaber müssen drei Fünftel in Schuldverschreibungen des Deutschen Reiches oder Preußens angelegt werden.
$ 3. Sparkassen, welche den nach Së 1 und 2 zu haltenden Bestand an mündelsicheren Schuldverschreibungen auf den Inhaber nicht besitzen, haben bis zur Erreichung dieses Besitzstandes alljährlich von dem Zuwachs ihres verzinslich angelegten Vermögens einen Prozentsatz in mündelsicheren Schuldverschreibungen auf den Inhaber, und zwar in dem im. $ 2 vorgesehenen Anteilsverhältnis anzulegen, der den Prozentsatz des von ihnen in mündel- sicheren Schuldverschrei ongan auf den Inhaber zu haltenden Besitzstandes um 5 Proz. übersteigt. Abs. 2. Verstärkt eine Sparkasse in einem Jahre über diese Grenze hinaus ihren Besitzstand an mündelsicheren Schuldverschreibungen auf den Inhaber, insbesondere an Schuldverschreibungen des Reiches oder Preußens, so kann sie den Mehrbetrag auf die in diesen Schuldverschreibungen künftig anzulegenden Beträge in Anrechnung bringen.
$ 4. Der Oberpräsident kann unter besonderen Verhältnissen ausnahms- weise Sparkassen Erleichterungen von den Auflagen dieses Gesetzes nachlassen, wenn dies ohne wesentliche Beeinträchtigung ihrer Liquidität geschehen kann.
Den Schuldverschreibungen des Reiches oder Preußens stehen im Sinne dieses Gesetzes die im Reichsschuldbuch oder im preußischen Staats- schuldbuch eingetragenen Forderungen gleich.
d 6. Die öffentlichen Sparkassen können den durch dies Gesetz vorge- schriebenen Besitzstand an mündelsicheren Schuldverschreibungen auf den In- haber soweit veräußern, als dies zur Rückzahlung von Einlagen unbedingt notwendig ist. Sobald wieder zinsbar anzulegende Bestände vorhanden sind, ist zunächst der bisherige Besitzstand bis zur Höhe der nach diesem Gesetz zu haltenden Mindestgrenze wiederherzustellen ; der Oberpräsident kann wider- ruflich eine Erleichterung von dieser Verpflichtung nachlassen.
. Sparkassen, welche von ihrem verzinslich angelegten Vermögen Mindestbeträge unter 25 Proz., aber nicht unter 20 Proz in mündelsicheren Schuldverschreibungen auf den Inhaber anzulegen haben, können von ihren bei der Rechnungslegung sich ergebenden Jahresüberschüssen zu öffentlichen, dem gemeinen Nutzen dienenden Zwecken des Garantiverbandes verwenden: a) ein Viertel, wenn der Sicherheitsfonds 2 Proz. oder mehr, aber noch nicht 5 Proz. der Spareinlagen beträgt; b) die Hälfte, wenn der Sicherheitsfonds
Nationalökonomische Gesetzgebung. 59
5 Proz. oder mehr, aber noch nicht 8 Proz. der Spareinlagen berigt: c) die esamten Jahresüberschüsse, wenn der Sicherheitsfonds 8 Proz. er mehr er Spareinlagen beträgt. Abs. 2. Sparkassen, welche mindestens 25 Proz. ihres verzinslich angelegten Vermögens in mündelsicheren Schuldverschreibungen auf den Inhaber anzulegen haben, können von ihren bei der Rechnungs- legung sich ergebenden Ueberschüssen zu öffentlichen, dem gemeinen Nutzen dienenden Zwecken des Garantieverbandes verwenden: a) die Hälfte, wenn der Sicherheitsfonds der Sparkasse 2 Proz. oder mehr, aber noch nicht 5 Proz. der Spareinlagen beträgt; b) drei Viertel, wenn der Sicherheitsfonds 5 Proz. oder mehr r noch nicht 8 Proz. der Spareinlagen beträgt; c) die ge- samten Jahresüberschüsse, wenn der Sicherheitsfonds 8 Proz. oder mehr der Spareinlagen beträgt. Abs. 3. Im übrigen verbleibt es hinsichtlich der Ver- wendung der Sparkassenüberschüsse bei den bestehenden Bestimmungen, und zwar auch für die vorbezeichneten Sparkassen, wenn deren Satzungen für die Garantieverbände tigere Vorschriften enthalten. Abs. 4. Die Verwen- dung der Jahresüberschüsse arf der Genehmigung der Aufsichtsbehörde nur, wenn die Ueberschüsse zur Deckung von auf este Verpflichtung be- ruhenden Ausgaben des Gesamtverbandes verwendet werden sollen.
a An Stelle des Oberpräsidenten tritt für die Hohenzollernschen Lande der Minister des Innern. Dies Gesetz tritt am 1. Januar 1913 in Kraft.
Gesetz, betreffend ältere Hypotheken in Neuvorpommern und Rügen. Vom 28. Mai 1913. S. 271.
Gesetz über Maßnahmen zur Stärkung des Deutschtums in den Provinzen Westpreußen und Posen. Vom 28. Mai 1913. S. 269.
Staatsvertrag zwischen dem Königreich Preußen und dem Fürsten- tum Schwarzburg-Rudolstadt wegen anderweitiger Regelung der Ueber- tragung von Auseinandersetzungsgeschäften auf die Königlich Preu- Dechen Auseinandersetzungsbehörden. Vom 10./6. April 1912. S. 41. Bekanntmachung, betreffend die Ratifikation des zwischen Preußen und Schwarzburg-Rudolstadt am 10./6. April 1912 vereinbarten Staats- vertrags wegen anderweitiger Regelung der Uebertragung von Aus- einandersetzungsgeschäften auf die Königlich Preußischen Auseinander- setzungsbehörden. Vom 7. April 1913. S. 45. ‚ „Allerhöchster Erlaß, betreffend die Ausübung der Chausseepolizei in der Provinz Westfalen und in den nicht zum ehemaligen Appellations- gerichtshofe zu Cöln gehörenden Teilen der Rheinprovinz durch die Landräte. Vom 7. April 1913. S. 190.
Hinterlegungsordnung. Vom 21. April 1913. S. 225.
60 Miszellen.
Miszellen.
I. Das chinesische Geldwesen und seine Neugestaltung.
Von Dr. H. Schwarzwald, Wien.
I.
Kürzlich ist ein Aufsehen erregender Prozeß des Reichsfiskus gegen dio Deutsch-Asiatische Bank wegen gewisser Kursdifferenzen aus Zahlungen, die vom chinesischen Staat an das Deutsche Reich zu leisten sind, zu Ende geführt werden und hat die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf die in der Tat sehr merkwürdigen Besonderheiten des chinesischen Geldwesens gelenkt. Wie wenig es dem Europäer ver- ständlich ist, zeigen gerade auch gewisse Wendungen in den Prozeßakten sowie in den sich daran schließenden Diskussionen. Beispielsweise haben dio unteren Gerichtsinstanzen den „Haikwan-Tael‘“ für eine Gold- münze angesehen, bis das Reichsgericht feststellte, daß China keine Goldwährung hat. Der Haikwan-Tael ist aber auch keine Silbermünze. ebensowenig wie der Shanghai-Tael, in welchem, wie das Endurteil sagt, die effektive Zahlung der chinesischen Boxerindemnität zu er- folgen hat, und es ist unrichtig, von den Shanghai-Taels als von einer „Landeswährung“ zu sprechen. In der Tat haben dann Journalauf- Sëtze, die nur aus dem publizierten Urteil und seinen Gründen schöpften, von den vielgenannten Taels als von „Rechnungsmünzen‘“ oder „Landesmünzen‘“ gehandelt, während es in China gar keinen gemünzter Tael gibt. Es gibt auch keine „Taelwährung‘ in China, und von „streitigen Taels“ zu reden ist nur vermöge eines Mißver- ständnisses möglich, welches darauf beruht, daß die Europäer ihre aus dem heimischen Geldwesen stammenden und ihnen allzu geläufigen Begriffe und Bezeichnungen auf ein Geldwesen übertragen, das von dem unsrigen in den wichtigsten Beziehungen verschieden ist.
Vor allem andern ist wichtig festzuhalten, daß „Tael“ kein Münzname wie Mark, Franc oder Rubel, sondern nichts weiter als die Bezeichnung eines Gewichtes ist, das etwa einer europäi- schen Unze entspricht. Das Wort ist übrigens nicht chinesisch, sondern gehört dem in den Vertragshäfen ausgebildeten sino-europäischen Jar- gon an und dürfte aus einer aus Indien importierten Bezeichnung ent- standen sein. Die Chinesen selbst nennen ihre Unze Liang. Es ist
Miszellen. 61
nun klar, daß es keinen gehörigen Sinn hat, von einer Anzahl oder einem Betrag von Taels zu sprechen, so wenig, als es bei uns verständ- lich wäre, von einer Anzahl Kilogrammen oder einem Betrag von Zentnern zu reden, ohne anzugeben, auf welche Sache oder Ware sich eigentlich die Quantitätsangabe bezieht. In der Tat wird kein Chinese schlechtweg von „Unzen“ sprechen; es muß hinzugefügt werden, wo- von denn Unzen gemeint sind (Reis, Bohnen, Kupfer, Silber oder Gold?). So und so viele Unzen feinen Silbers: so drückt sich der Chinese aus. Der Europäer aber überträgt ohne weiteres seine heimischen Münzgewohnheiten und spricht kurzweg von „Taels“, was nur dann unzweideutig ist, wenn stillschweigend die Bezugnahme auf Silber erfolgt. Wenn also die fremden Mächte nach der Niederwerfung der gegen die Ausländer gerichteten national-chinesischen Bewegung vom Jahre 1900 dem chinesischen Staat eine Entschädigung von 450 Mill. Haikwan-Taels auferlegten, so heißt das genau übersetzt: 450 Mill. Zollamts-Unzen feinen Silbers (nämlich Unzen von dem bei der Erhebung der Zölle üblichen Maß). In Europa hätten wir uns in analogem Fall auszudrücken: 17 Mill. Kilogramm oder 17000 metrische Tonnen feinen Silber. Da in China Maße und Gewichte nicht ein- heitlich sind, sondern nach Provinzen, Städten, ja oft sogar Gewerbe- zweigen mannigfaltig variieren, muß stets die Art des gemeinten Maßes näher bezeichnet werden. Für die Zollabgaben ist die alte Unze von Kanton, den der fremde Handel an diesem ihm zuerst erschlossenen Hafen vorfand, durch die internationalen Handelsverträge festgelegt worden; sie wiegt 37,783 g. Die Zollabgaben sind in reinem Silber zu entrichten; und da die Boxerindemnität durch die Zolleinnahmen garantiert worden ist, so drückte man sie eben nach der für diese geltenden Einheit aus.
Das chinesische Geld ist also einfach Silber nach Gewicht. Man kauft und verkauft, steuert und schätzt nach Unzen Silbers. Die zollamtliche Unze („Haikwan-Tael‘) ist bloß für Zollzahlungen üblich. Die Steuern zieht der Fiskus gewöhnlich in einer eigenen Einheit, der Schatzhaus-Unze (,„Kuping-Tael), ein, die meist und offiziell mit 37,301 (in einer jüngst erschienenen Verordnung merkwürdigerweise mit 37,00301) Gramm angegeben ist. In ihr war auch die den Japanern nach ihrem siegreichen Feldzug zu zahlende Kriegsentschädigung aus- gedrückt. Es hat keinen Zweck, die Gewichtsdefinitionen anderer gang- barer Unzenarten, wie der Sze-ma-Unze von Kanton, der Hang-ping- Unze von Tientsin, der Tsao-ping-Unze von Shanghai, der Kung-fa-Unze ` von Peking usw. anzugeben. Manche Quellen wollen 170 Arten von Unzen unterschieden haben, so groß ist, dank der durch Jahrtausende fortgesetzten Gleichgültigkeit und Unzulänglichkeit der öffentlichen Ver- waltung, die Zersplitterung des Gewichtswesens in China.
Man zählt also in China unter Zuhilfenahme der Wage, wie im alten Ronı das Kupfer, wie heute im internationalen Verkehr das Gold gewogen wird. 16 Unzen bilden wie in Europa ein Pfund (Catty). Im übrigen haben die Chinesen von altersher die Dezimalteilung, die viel-
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leicht von dort aus sich in der Welt verbreitet hat. Das Zehntel einer Unze ist der Tsien (im Jargon Mace), dieser zerfällt in 10 Fên (im Jargon Candarin), dieser in 10 Li (im Jargon Cash), und rechnungs- mäßig wird noch weiter bis zum Zehnmillionstel der Unze geteilt.
Bei Zahlungen kommt aber nicht allein das Gewicht in Betracht, sondern auch die Feinheit des Silbers, worin gezahlt werden soll. Nicht immer nämlich ist feines Silber (Chines. Tsu-sêh-wên-yin) ge- meint. Die Zollzahlungen erfolgen, wie erwähnt, in Unzen feinen Silbers. Dagegen bezieht sich die fiskalische Unze (der Kuping-Tael) meist auf Silber von der Feinheit von 985 Tausendteilen. An verschie- denen Plätzen ist verschiedenes Standardsilber gangbar. Bei Preis- angaben müssen also die Gattung des gemeinten Unzenmaßes, sowie der Standard des Metalles genannt werden.
Die Europäer stehen der chinesischen Silbergewichtsrechnung so fremd gegenüber, daß sie ihr schon in der Bezeichnung nicht gerecht werden. Sie sind gewohnt, ein Stück Gold vom Gewicht von 7,965 e und der Feinheit von 900 Tausendteilen 20 Reichsmark, eines von 1231/, Troy-Grains und der Feinheit von 11 Zwölfteln 1 Pfund Ster- ling zu nennen, weil bei ihnen daheim diesen Bezeichnungen konkrete Metallstücke von bestimmtem Aussehen entsprechen. Dieser Gewohn- heit folgend benennen sie eine bestimmte Unze Silber von bestimmtem Feingehalt, wie sie an einer bestimmten Lokalität in China die herkömm- liche Currency bildet, mit dem Namen „Shanghai-Tael‘‘ — obwohl es ein solches Ding, als greifbare Sache, gar nicht gibt. Es ist eine europäische Jargonbezeichnung, bei der 1) der gemeinte Stoff oder die gemeinte Ware (also Silber von bestimmtem Feingehalt) und 2) das gemeinte Gewichtemaß stillschweigend mitzuverstehen sind. ` Chinesisch ist diese Bezeichnungsweise nicht.
Es gibt also keine Taelmünzen, und es gibt überhaupt keine Währung, d. h. kein vom Staat gestempeltes und für Zahlungen legalisiertes Geld. Was als Geld umläuft ist Silber, welches nach fakti- schem Gewicht genommen und gegeben wird. Die übliche Gestalt sind Barren, meist vom approximativen Gewicht von 50 Unzen, die man wegen ihrer der chinesischen Fußbekleidung ähnlichen Gestalt im Jar- gon „shoes (Schuhe) nennt. Eine Vertrauensstelle von halboffiziellem Charakter (Kung-ku) malt auf den Barren Tuschzeichen, die zur Be- quemlichkeit des Verkehrs das genaue Gewicht, sowie die Feinheit an- geben. Dieses sog. „Sycee“-Silber (von Hsi-sze, d. i. „Feine Seide‘, nach dem Aussehen des Silbers) ist also Gegenstand der effektiven Ueber- _ tragung, wobei bezüglich des Feingehalts eventuell auch bezüglich der Gewichtseinheit Umrechnungen platzgreifen müssen !).
1) Schalten wir hier einen kleinen Exkurs zum eingangs erwähnten Valuta- prozeß des Reichsfiskus ein. Europa, Nordamerika und Japan haben nach der Unterdrückung der Boxerbewegung in einem vorläufigen Abkommen vom Mai 1901 dem chinesischen Staat die Zahlung einer Entschädigung von 450 Mill. Zollamts- Unzen feinen Silbers auferlegt. In solchen Unzen empfängt der chinesische Staat die Einnahmen aus den Zollabgaben, und da die Indemnität auf letzteren sicher- gestellt wurde, so drückte man sie im gleichen Maßstab aus. Im Schlußprotokoll vom 7. September 1901 wurde aber China zu einem weiteren sehr schwerwiegenden
Miszellen. 63
An dem eigentümlichen chinesischen System derSilbergewichts- rechnung ändert auch der in China örtlich vorkommende Umlauf von
Zugeständnis an die Mächte vermocht; die Indemnität wurde nämlich in eine Gold- schuld verwandelt, auf Grund einer festen Gleichsetzung der Zoll-Unze Silber mit 3 sh., 3,055 M., 3,75 frcs. usw. Gold, wonach an die einzelnen Staaten die auf sie entfallenden Teile der Jahresannuitäten zu entrichten waren. Infolgedessen lastete fortan das ganze Risiko der Schwankungen des Silberpreises auf China, was finanziell sehr ins Gewicht fallen konnte. So war der Silberpreis schon ein Jahr nach dem Friedensschlusse um nicht weniger als 12 Proz. gefallen; ent- sprechend höher war also die auf dem chinesischen Fiskus liegende Last. Die Zölle, die von den importierten Waren eingehoben werden, sollen nach den Handelsverträgen 5 Proz. vom Wert betragen, werden aber auf Grund von Durch- schnittswerten in spezifische Zölle umgerechnet, d. h. pro Wareneinheit in festen Beträgen von Zollamts-Unzen Silber (Haikwan-Taels) fixiert. Der chinesische Staat empfängt also die Zollabgaben in Silberquantitäten von wechselndem Wert, muß aber die darauf sichergestellten Entschädigungsraten in fixen Gold beträgen begleichen. Wäre bei den chinesischen Staatsvertretern mehr wirtschaftliche Ein- sicht vorhanden gewesen als den Mandarinentraditionen entsprach, so hätten sie darauf bestehen müssen, daß den neuen Goldschulden Chinas auch Goldeinnahmen entsprächen. Die Indemnität hätte nur dann in Gold fixiert werden dürfen, wenn auch die Einfuhrzölle in Gold bezahlt werden. Von importierten Waren, die ja mit Gold beglichen werden müssen, Wertzölle in Silber einzuheben, ist ohnehin sinnwidrig. Fällt das Silber im Wert, so reduziert sich entsprechend der Zoll- betrag, der doch vertragsmäßig 5 Proz. vom Warenwert betragen soll. Blieb es aber bei der Zollzahlung in Silber, so hatte logischer- und gerechterweise auch die auf den Zöllen sichergestellte Indemnität in Silber ausgedrückt zu bleiben. Die hier sichtbar gemachte Nachlässigkeit der chinesischen Regierung ist die Quelle der heutigen Valutastreitigkeiten Dritter. Da nämlich China keine Goldrevenuen hat, muß es die Goldsummen, die es zu zahlen hat, kaufen. Dies geschieht in Shanghai, dem kommerziellen Mittelpunkt des Außenhandels, wo also der größte Teil der Importzölle eingeht, und wo die großen ausländischen Banken, die als Inkassostellen der bezüglichen Regierungen fungieren, ihren Sitz haben. China weist diesen Banken, nach den jedesmaligen, beiderseits zu genehmigenden Wechsel- kursen. so viel Silber an, als nötig ist, um die fälligen Goldsummen anzuschaffen. (Daß dies in sogenannten Shanghai-Taels geschieht, ist, wie sich aus den bisherigen Darlegungen ergibt, ganz nebensächlich.) Je nach den Silberpreisen muß also die chinesische Regierung mehr oder weniger Silber erlegen, als der ursprünglich ver- abredeten Annuität von 15 Mill. Zollamts-Unzen entspricht. Ihre eigentliche Schuldigkeit besteht eben nicht mehr in Silber, sondern in Gold. Daraus ergibt sich, wie unbillig es war, China, als es bei einigen Ratenzahlungen (1902 und 1903) wegen Meinungsdifferenzen mit Teilbeträgen in Rückstand geriet, das Rückständige bei der Nachzahlung (1904) in jener Anzahl von Shanghai-Taels abzunötigen, die es bei rechtzeitiger Zahlung zu erlegen gehabt hätte, obwohl zum verspäteten Termin wegen gestiegenen Silberpreisen ein geringeres Silberquantum genügt hätte, um den rückständigen Goldbetrag anzuschaffen. Dadurch ergab sich für die Empfänger ein Gewinn, um den sich eben der Prozeß zwischen Reichsfiskus und der Deutsch -asiatischen Bank drehte. Letztere, die im Bankenkonsortium von Shanghai das deutsche Interesse vertritt und bei der Kursfestsetzung für die In- demnitätszahlung mitwirkt, besorgt für den Reichsfiskus das Inkasso und hat sich diesem gegenüber verpflichtet, den entsprechenden Goldbetrag, auf den es ja nach dern Vorstehenden allein ankommt, dem Fiskus gehörig gutzubringen. Sie bean- spruchte nun den aus der Nachzahlung Chinas, infolge der zwischenzeitigen Preis- steigerung des Silbers, entstehenden Gewinn für sich, weil der Reichsfiskus bloß auf jene Goldbeträge Anspruch habe, die China vertragsmäßig zahlen muß. Dem- gegenüber nahm der Fiskus mit Recht den Standpunkt ein, die Bank habe ihm alle von China geleisteten Beträge, gleichgültig ob sie rechtzeitig oder verspätet, richtig oder unrichtig eingehen, in Gold umgerechnet abzuführen. Das Reichs- gericht hat in letzter Instanz zugunsten des Fiskus entschieden. Wir haben hier
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allerlei Silbermünzen nichts; auch diese werden überall nur nach ihrem effektiven Gehalt an Silber geschätzt und angenommen. Man sieht in China hauptsächlich mexikanische Silberdollars, ferner Dollars amerikanischen und britischen Gepräges, im Norden auch japanische Yen und russische Silberrubel. Diese Münzen erhalten sich dort im Umlauf, wo das Publikum ihr Gewicht und ihren Feingehalt kennt. Im Innern des Landes wandern sie gewöhnlich in den Schmelztopf, um in Syceesilber umgegossen zu werden. Es ist charakteristisch, daß im Süden der Dollar, um umlaufsfähig zu werden, eine Art Punze seitens des ausgebenden Bankiers erhält, wodurch gleichsam dessen Garantie beglaubigt wird, daß der Staat, von dem der betreffende Dollar her- rührt, bei der Prägung wirklich ehrlich verfuhr, also das übliche Fein- gewicht Silber darin enthalten ist. Läuft der Dollar längere Zeit um, so häufen sich jene Bankpunzen auf ihm, bis die Münzen (chopped Dollars) fast unkenntlich sind, und eingeschmolzen werden. Seit einigen Jahren haben auch verschiedene chinesische Provinzialmünzstätten Dol- lars chinesischer Prägung ausgegeben. Auch diese werden lediglich nach Silbergewicht genommen; meist tragen sie sogar die Gewichts- bezeichnung nach chinesischen Unzen (0,72 Kuping-Tael) aufgeprägt. So läuft also neben dem Syceesilber eine Mannigfaltigkeit geprägter Silbermünzen um, da sie, sofern ihr Gewicht bekannt ist, das Abwägen vielfach ersparen; aber es wird nie übersehen, daß sie nur nach Gewicht und Feingehalt gelten. Die Preise und Rechnungen gelten trotzdem immer in Unzen, und auf Unzen werden die Münzen als Metallstücke verrechnet — wobei die Kosten des Einschmelzens und Nachprüfens separal und ausdrücklich kalkuliert werden.
Das chinesische Publikum ist sehr kaufmännisch und rechnerisch veranlagt, und handhabt sein Silbergewichtsgeld mit oft bestaunter Virtuosität. Der Fremde steht aber dieser Art Geldwesen meist ratlos gegenüber. Man kann europäische Kaufleute antreffen, die jahrzehnte- lang in China tätig gewesen sind, und das Wesentliche des dortigen Geld- wesens nie begriffen haben. Dem Europäer ist geläufig, in Münzein-
nicht auf den Prozeß einzugehen, und begnügen uns mit der Bemerkung, daß nach dem Vorstehenden die strittigen Beträge eigentlich dem chinesischen Staat mit Unrecht abgenommen worden sind. Insofern aber dieser Punkt nicht zur Diskussion steht, müssen sie jenem zufallen, der sie verlangt und ihre Bezahlung durchgesetzt hat, und das ist das Deutsche Reich. Wir wiederholen, daß China eigentlich Gold zu zahlen hat und Gold bei den Banken anschafft, unter Erlegung von Silber zu bankmäßig festgesetztem Kurs. Dies wurde in den Prozeßverhand- lungen beständig übersehen. Die Festhaltung des Gesichtspunktes der Gold- verpflichtung Chinas nimmt dem Anspruch der Deutsch-ostasiatischen Bank jede Scheinbarkeit. Der Inkassovertrag des Reichsfiskus mit der Bank hatte zum Zweck, noch unzweideutig festzustellen, daß dieBank das von China bezweckte Goldquantum auch dem Reichsfiskus gegenüber bücherlich gutzubringen habe. Weder war die Bank also berechtigt oder in der Lage, mehr Gold gutzuschreiben, noch der Reichsfiskus verpflichtet, mehr Gold zu erwarten und abzunehmen, als von China effektiv (im Silberäquivalent) jedesmal überwiesen worden ist. Andererseits durfte die Bank dem Fiskus niemals weniger Gold gutbringen, als der jedesmaligen Silberzahlung Chinas entsprach. — Der ganze Fall illustriert übrigens die aus der Unwissenheit und dem Ungeschick der chinesischen Beamten entspringende Ab- hängigkeit des chinesischen Fiskus von der Bank- und Finanzwelt.
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heiten zu denken und zu rechnen, ohne sich weiter gegenwärtig zu halten, wie viel an effektivem Metallgehalt unter dem gewohnten Münz- namen stecke. Dieser Punkt wird zwar beim internationalen Valuten- und Rimessenhandel auch in Europa bedeutsam, und die sich damit be- fassenden Banken hören alsbald auf, sich um den staatlich festgesetzten Namen (Mark, Franc etc.) zu kümmern, greifen vielmehr zur Gold- wage, um das effektive Gewicht festzustellen, sobald Versendung von geprägtem Geld aus einem Land ins andere in Frage kommt. Auch das Geschäftsleben innerhalb der Grenzen eines Landes wird auf den Metallsinn des Geldes alsbald aufmerksam, wo Zwangspapiergeld um- läuft und Kreditstörungen ein Disagio desselben bewirken; denn dann hält jeder das wertvollere Goldstück, das in seine Hand gerät, zurück, um es beim Goldschmied oder bei der Bank besser zu verwerten, als durch Weitergabe zum Nennwert möglich wäre. Davon abgesehen aber hält sich der Europäer an die staatlichen Münznamen, und wünscht im Ausland stets etwas Aehnliches anzutreffen. In China herrscht nun aber auch im Innern allgemein das, was bei uns nur im internationalen Verkehr üblich ist, nämlich die Zahlung in Edelmetall nach Gewicht. Die damit verbundenen und durch die große Zersplitterung des Maß- wesens allerdings gesteigerten Rechennotwendigkeiten bleiben dem Aus- länder etwas kaum Verständliches, was er, wenn er nicht gerade selbst Bankmann ist, selten durchschauen lernt. Gerade aber diese Ver- ständnislosigkeit gegenüber dem chinesischen Geldwesen hat dazu bei- getragen, den europäischen Kaufmann in solche Abhängigkeit von chinesischen Organen und Vermittlern zu bringen, wie sie regelmäßig Tatsache ist. Er ist im gesamten Zahlungsverkehr auf Vermittlung von Chinesen angewiesen und gewohnt, in ihrer Verrechnungsweise eine Art Geheimwissenschaft zu sehen.
Der chinesische Silberumlauf beruht nicht auf staatlicher
Anordnung und autoritativer Verwaltung, sondern ist ganz und gar eine Schöpfung des freien Verkehrs. Man darf daher von ihm nicht als yon einer Silberwährung im europäischen Sinn sprechen. Er hat sich wesentlich erst im Laufe der neueren Jahrhunderte einge- bürgert, und zwar in Anschluß an den Handel mit den sich seit dem 16. Jahrhundert in den Seestädten festsetzenden europäischen Kauf- leuten. Was diese für die chinesischen Ausfuhrwaren, besonders den Tee und die Seide, boten, war hauptsächlich Silber, welches vordem zwar auch nicht unbekannt, aber nur in geringem Maß als Zahlungsmittel gebraucht war. Die seit der Eroberung der neuen Welt durch die Euro- Päer sich in den internationalen Handel ergießenden Edelmetallzuflüsse scheinen besonders zur Verbreitung des Silbers in China beigetragen zu aben, in dem Maße, als sich der internationale Handel Chinas ent- wickelte. China kam also verhältnismäßig erst spät dazu, die edlen Metalle als Geld zu benutzen, und nach chinesischer Ueberlieferung haben erst die mit solchem Gebrauch verbundenen fühlbaren Vorteile zur intensiveren Ausbeutung der chinesischen Silberminen in Yünnan veranlaßt,
Dritte Folge Bd. XLVIII (CI). 5
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Neben und in gewissem Sinne unter der Silbergewichtsrechnung steht eine zweite Art von Currency, welche aber nicht wie jene aus dem freien Verkehr hervorgewachsen ist, sondern ihren Ursprung dem Staate verdankt, freilich aber von diesem selbst in gewissem Sinn fallen ge- lassen ist und in ihrem heutigen Zustand ein Spiegelbild mehrtausend- jähriger schlechter Staatsverwaltung liefert. Es ist dies eine Art Kupfer- (genauer Bronze-) Währung, deren Geschichte weit hinter die Zeit der Entstehung abendländischer Münzen zurückreicht. In der Tat hat man in China schon vor etwa 3000 Jahren Kupfergeld geprägt. Solche Prägung war ebenso wie später in Europa ein Fortschritt und eine Erleichterung des Verkehrs, dem dadurch statt jedesmal abzu- wägender Kupferbarren Metallscheiben von bekanntem, aus dem Stempel- zeichen ersichtlichem Gewicht dargeboten wurden.
Die Verfertigung der Metallstücke war ursprünglich und noch lange, etwa bis zum Beginn unserer Zeitrechnung, Privatsache, und die öffentliche Gewalt begnügte sich mit der Vorschreibung bestimmter .Form und bestimmten Gewichts. Die Kupfermünzen haben von alters- her in der Mitte ein viereckiges Loch, so daß sie auf Schnüren auf- gereiht werden können, und die chinesische Tradition führt den Ur- sprung dieser Einrichtung auf den vor allgemeiner Einbürgerung des Kupfergeldes verbreiteten Gebrauch von Kaurimuscheln und Schildpatt- stücken zurück, die zu Schnüren aufgereiht, als Schmuck dienten und als Vermögensstücke und Zahlungsmittel geschätzt gewesen seien. Diese Reminiszenz ist nicht uninteressant, denn sie zeigt, daß die Entwick- lung des Geldwesens überall ähnlich vor sich gegangen ist. Ueberall hat man ursprünglich gewisse allgemein beliebte und daher besonders leicht absetzbare Dinge vorzugsweise zum Tauschverkehr und Handel benützt, und überall ist man, sobald Metalle erlangbar waren, wegen ihrer vorzüglichen Eigenschaften dazu gelangt, in stetiger Entwicklung zu ihrer überwiegenden und schließlich alleinigen Benützung über- zugehen. So wie später die Silberrechnung, so ist auch früher das Kupfergeld nicht durch Uebereinkunft oder durch Staatsgesetz, sondern vermöge der Notwendigkeiten des Verkehrs und der natürlichen Eigen- schaften des Metalls zur Entstehung gekommen.
Die Geschichte der chinesischen Metallmünzen gibt zu ähnlichen Betrachtungen Anlaß wie die europäische Münzgeschichte. Nachdem das Prägen der Kupfermünzen unter einem energischen Staatsleiter (vor etwa 2000 Jahren, unter der Han-Dynastie) Staatsmonopol ge- worden, wurde es auch in China von geldbedürftigen Fürsten, Macht- habern und Regierungen als Quelle für eigensüchtige Profite auf Kosten der allgemeinen Volkswirtschaft benützt. Das Abwägen und Bezeichnen von Metallscheiben ausschließlich einer öffentlichen Anstalt vorzube- halten und es der Privatindustrie zu verbieten kann den guten Sinn haben, daß das Publikum vor unzuverlässigen Manipulationen besser geschützt werden und ihm der Vorteil einer einförmigen und von der höchsten Autorität herrührenden Beglaubigung geboten werden soll. Aber in China hat sich wie anderwärts der Egoismus der regierenden Finanzen der ursprünglich wohltätigen Institution bemächtigt, und unter-
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dem Anschein des Gemeinnützigen die staatliche Eigensucht zum Ver- derben der Sache spielen lassen. So ist denn auch in China in den ver- schiedenen Perioden durch verschiedene Mittel versucht worden, ver- schlechtertte Münzen zu unverändertem Wert dem Verkehr aufzu- oktroyieren oder in ihn einzuschmuggeln. Man verkleinerte die Münzen bald im Durchmesser, bald in der Dicke, setzte mehr schlechtes Legier- metall zu, und brachte sie unter unveränderter Bezeichnung und zum nominellen Wert der besseren von früher gangbaren Metallstücke in Umlauf. Die diversen Metallunterschlagungen gingen nicht einmal immer von einer einzigen Zentralstelle aus, sondern entsprechend den jeweiligen politischen Verhältnissen sind die gleichen Mißbräuche in Teilstaaten und Provinzen geübt worden. So entstand eine bunte Mannigfaltigkeit von Kupfermünzen, die gesetzlich allesamt dasselbe bedeuten sollen. Dabei verdrängten die schlechteren Münzen die besse- ren, die nominell denselben Wert haben sollten, da es profitabel war, die schwereren Metallstücke einzuschmelzen und als Metall zu ver- werten. Nahmen gelegentlich die Münzen infolge des Prägemonopols und mangelhafter Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse des Verkehrs einen höheren Verkehrswert an, als dem Metallgehalt entsprach, so ver- lockte das die Regierungen zu massenhafter Ausprägung schlechten Geldes, die so lange fortdauern konnte, als das Publikum die schlechte Beschaffenheit nicht durchschaute und die Korrektur der Bewertung nicht vornahm. Ueberdies waren aller Orten auch private Falsch- münzer am Werk, ja die Profitchance bot auch privaten Unternehmern starken Anreiz, sich trotz gesetzlichen Verbots an der Schaffung von Münzen zu beteiligen, die an Metallgehalt hinter den staatlichen nicht zurückstanden, ja sie manchmal übertrafen. Versuche besserer Regie- rungen (z. B. der Tang-Dynastie im 7. Jahrhundert unserer Zeit- rechnung), reformierend einzugreifen, waren nur vorübergehend; im ganzen überwogen die Verschlechterungen.
Das Fazit dieser mehrtausendjährigen verworrenen Münzgeschichte ist der tatsächliche chinesische Umlauf an Bronzemünzen (von den Fremden cash, Käsch, französisch sapeques, genannt), womit sich der Detailumsatz und die Masse des ärmeren Volkes behelfen. Das Ge- wicht der gesetzlichen Käschmünze, das ursprünglich das Zehntel einer chinesischen Unze betragen sollte, ist im Lauf der Jahrhunderte auf ein Zwölftel, dann ein Sechzehntel und gar ein Zwanzigstel der Unze heruntergegangen, d. h. von etwa 21/, auf etwa 11/3 g reduziert worden. Sie soll aus einer Legierung von etwa 50 Proz. Kupfer, 40 Proz. Zink, 10 Proz. Zinn oder Blei bestehen, tatsächlich sind aber zahllose ältere und neuere legitime und illegitime Varianten im Umlauf. Selbstver- ständlich kümmert sich der Verkehr nicht um die nominelle Gleich- wertigkeit der verschiedenen Sorten und bewertet sie lediglich nach dem effektiven Metallgehalt. Der praktische Sinn der Chinesen hat Hilfsmittel erfunden, um trotz der elenden Beschaffenheit dieser von von der staatlichen Mißwirtschaft der Jahrtausende vererbten Currency doch einigermaßen sich damit zu behelfen. Die Käschmünzen kursieren gewöhnlich in Schnüren, auf denen nominell je 100 Käsch aufgereiht
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sein sollen; gewöhnlich fehlen aber 2—3, die man als Entgelt für Beistellung der Schnur und Sortierung und Auffädelung der Münzen ansieht. Innerhalb der einzelnen Schnur wird aber je nach den Gewohn- heiten und Traditionen des Bezirks oder der Lokalität eine ge- wisse Sortierung gefordert: soundso viel schwere (ältere), soundso viel leichtere haben darin zu sein, und soundso viel unechte (d. h. nicht behördlicH ausgegebene) werden dabei mitgenommen. Auf diese Weise wird doch in gewissem Maße eine durchschnittliche Gleichmäßigkeit der Einheit erzielt, um ein Rechnen in Geld zu ermöglichen. 10 Schnüre bilden gewöhnlich eine höhere Einheit (,,Tiao‘“, nominell 1000 Käsch). Natürlich muß aber trotzdem immer auf die Zusammensetzung der Schnüre geachtet werden. Es gibt immer Abzüge oder Vergütungen je nach der Zahl schlechterer oder besserer Münzen. Von Provinz zu Provinz, von Stadt zu Stadt ändert sich der Wert der Schnüre nach Lokalüsancen; die Differenzierung der Gebräuche und Sitten geht so weit, daß man gewisse Waren mit schlechteren, selbst unechten Käsch, andere nur mit guten kaufen kann, und überdies schwankt der Wechsel- kurs gemäß dem jeweiligen Mangel oder Ueberfluß an Münzen und nach dem Stand der Handelsbeziehungen — umfaßt doch das ungeheure Reich Provinzen von der Größe europäischer Großstaaten, zwischen denen nach Handels- und Zahlungsbilanz Barausgleichungen nötig werden, die ein hochentwickelter Bank- und Wechselverkehr besorgt. Käschnoten, die von den Wechslern und Bankiers ausgegeben werden, erleichtern zwar den interurbanen Verkehr ein wenig, sind aber ander- seits selbst Quelle von Differenzen, Abzügen und Verlusten. Es ist eine ganzo Wissenschaft von Nöten, um sich in dieser Mannigfaltigkeit auszukennen, und zahllose Käschwechselbuden ziehen aus den Verkehrs- schwierigkeiten Gewinn. Unzureichende Kenntnisse und Unerfahren- heit bringen Verluste, und es gehört die bekannte kaufmännische und rechnerische Gewandtheit der Chinesen dazu, um sich mit diesem elenden Umlaufsmittel schlecht und recht zu behelfen. Auf dieses ist gerade der Verkehr der kleinsten wirtschaftlichen Existenzen ange- wiesen; hundert Käsch sind erst 2—4 Pence (15—30 Pfennig) wert. Wenn man auch nur mittlere Einkäufe machen will, sieht man sich leicht mit einigen Pfunden Kupfermünzen beladen.
Die Verwirrung ist in der neuesten Zeit noch dadurch vergrößert worden, daß man vielfach die Herstellung größerer Bronzemünzen, die nominell 10 Käsch repräsentieren sollen, aufnahm. Da sie aber durchaus nicht das 10-fache des Metallgehalts des durchschnittlichen Käsch haben, wurden sie vom Verkehr sofort nur mit Disagio ange- nommen. So rächte sich, daß nicht die Absicht, dem Verkehr Besseres zu bieten und wirklich zu reformieren, sondern der Profittrieb bei der Schaffung der neuen Münze maßgebend gewesen war. Um Präge- gewinne zu machen, hat man kolossale Quantitäten davon in Umlauf gebracht, Ueberproduktion und Minderwertigkeit haben ihren Kurs immer tiefer gedrückt, bis ihre Prägung nicht mehr lohnte. Neuerdings hat man auch nach europäischer Art faconnierte 10 Käsch-Bronze- münzen (ohne Loch) in Verkehr gebracht; auch diese sind nur mit
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Disagio in Umlauf und sehen ihre offizielle Bezeichnung beständig dementiert.
Das Ergebnis der staatlichen Geldverwaltung in China ist also die vollständige Korrumpierung der vom Staat geschaffenen Currency, die für den Verkehr beinahe unbrauchbar geworden ist. Wäre dieser auf die verrottete Kupferwährung angewiesen geblieben, so hätte ein umfänglicherer Handel, eine verzweigtere Volkswirtschaft nicht auf- kommeu können. Es war ein Sieg der nach Entwicklung drängenden wirtschaftlichen Triebkräfte und der ökonomischen Naturgesetze über die künstlichen Beschränkungen und Hindernisse, daß sich der Verkehr der Kaufleute und der wohlhabenden Schichten in den neueren Jahr- hunderten vom staatlichen Kupfergeld emanzipierte und sich in der Silbergewichtsrechnung eine eigene bessere Currency schuf. Der Käsch- umlauf dient heute nur mehr dem kleinsten Verkehr, dem Detail und den Geschäften der ärmsten Volksschichten; im übrigen rechnet und zahlt man in Silber nach Gewicht. Diese neue staatlich nicht re- glementierte Currency des freien Verkehrs bot so große Vorteile gegenüber der fast unbrauchbar gewordenen staatlichen Kupferwährung, daß der Staat selbst es als sein Interesse erkannte, seine Einkünfte‘ von seinem eigenen Gelde und dessen Wertunsicherheit unabhängig zu machen und sie gleichfalls in Silber sicherzustellen, so daß heute auch Steuern, Abgaben und Zölle im wesentlichen in Silber nach Ge- wicht zu entrichten sind. Die Käschwährung besteht also rechtlich eigentlich in keiner Beziehung mehr, und die Kupferzirkulation be- hauptet sich nur vermöge alter Gewöhnung und durch Jahrtausende fortgesetzter Tradition.
So hat China zwei nebeneinander bestehende Metallzirkulationen, die verschiedenen Bedürfnisbereichen angehören. Ein fixes Wertver- hältnis zwischen beiden besteht nicht. Der Verkehr achtet auf den Wert des effektiven Metalles und bestimmt danach das jeweilige Aus- tauschverhältnis. Theoretisch, d. h. nach alten Staatsfestsetzungen, sollten 1000 Käsch ein Tael Silber bedeuten. Heute werden aber 2000 bis 2500 Käsch für ein Tael Silber gegeben, und das illustriert das Maß der Verschlechterung der Kupfermünzen.
Das chinesische Geldwesen ist auch theoretisch von ganz be- sonderem Interesse. Der Gebrauch von ungeprägtem Metall als Um- laufsmittel pflegt als ein fast prähistorischer roher Zustand angesehen zu werden, der dem geprägten Gelde vorausgehe. Ja gewöhnlich will man in jenem urwüchsigen Metallumlauf überhaupt noch kein eigent- liches Geld sehen und läßt die Geschichte des letzteren erst mit den staatlichen Prägungen anheben. Damit stehen nun die Tatsachen, die wir in China finden, in lebhaftem Widerspruch. Ein gewaltiges Kultur- gebiet von mehrtausendjährigen Ueberlieferungen, an Bodenfläche und Bevölkerungszahl das gesamte Europa übertreffend, dabei in seinen wichtigeren Teilen fast so dicht besiedelt wie Deutschland; ein großes soziales Gebilde mit intensivem Ackerbau, emsigem Gewerbefleiß, hoch- entwickeltem Verkehr, intelligentem, eminent praktisch und solid bean- . lagtem Kaufmannsstande, uralten Bankiersgilden, weitverzweigten und
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verfeinerten Krediteinrichtungen — dieses Land hat kein Geld im her- kömmlichen europäischen Sinne. Wer sich Umlaufs- und Zahlungsmittel nicht als anders als staatlicher Urheberschaft, Stempelung und Privilegie- rung vorstellen kann, muß angesichts der nun einmal feststehenden Tat- sache, daß ein Kulturkreis von mehr als 400 Mill. Menschen seinen Handels- und Geschäftsverkehr ohne Dazwischenkunft staatlich be- zeichneten und autorisierten Geldes abwickelt, in Verlegenheit kommen.
In der Tat wird das so eigentümliche chinesische Geldwesen in der Literatur, die sich mit Geldtheorie befaßt, meist ignoriert. Doch ist es klar, daß eine Theorie, die zulänglich sein soll, eine befriedigende Erklärung aller historisch vorgekommenen oder kulturgeographisch nebeneinander auftretenden Tatsachen ermöglichen muß. Der höchst ansehnliche Fall der chinesischen Volkswirtschaft, den man nicht mit den primitiven Anfängen des Tauschverkehrs roher Urvölker auf eine Stufe stellen und sich so etwa über ihn hinwegsetzen kann, steht ins- besondere mit der jetzt modisch werdenden „Staatlichen Theorie des Geldes“ in unausgleichbarem Gegensatz. Die dieser Theorie zugrunde- liegende Petitio principii, das Geld sei ein Geschöpf der staatlichen Rechtsordnung, erfährt durch die chinesischen Zustände ihre hand- greifliche Widerlegung. Dort ist der Geldumlauf eine freie soziale Schöpfung, die ihre Einbürgerung dem Verkehr und keiner staatlichen Initiativo verdankt. Ja historisch ist die freie Silberrechnung sogar die Nachfolgerin einer staatlichen Währung, und wir haben hier den Fall, wo die staatliche Geldschöpfung von der wirtschaftenden Gesell- schaft beiseite geschoben und durch etwas Besseres ersetzt worden ist, was nicht auf autoritärer Gesetzgebung, sondern auf den ökonomi- schen Naturgesetzen selbst beruht. Ein naturwüchsiger Kupferumlauf ist durch staatlich geprägtes Kupfergeld ersetzt worden, welches bis in die europäische Neuzeit in China das allgemeine Umlaufsmittel war: dann hat, da das staatliche Geld schließlich als allzu verdorben seine Verkehrsfunktion nicht gehörig erfüllen konnte, die chinesische Volks- wirtschaft gleichsam wieder von vorn angefangen und ihren Verkehr auf das Silber gegründet. Nicht vom Staat ist diese Wandlung aus- gegangen, sondern sie hat sich gegen ihn und seine Satzungen voll- zogen, und ihm blieb nichts übrig, als sich dem neuen ökonomischen Fortschritt anzupassen und seinerseits aus ihm Vorteil zu ziehen.
Die europäische Wissenschaft beschränkt sich allzu einseitig auf die überkommenen Geldzustände, wie sie sich in unseren auf den mittelalterlich-feudalen Grundlagen erwachsenen militärisch-bureaukrati- schen Staaten faktisch präsentieren. Unter dem autoritären Druck des Tatsächlichen fällt sie mehr und mehr der Beschränktheit anheim, das Geldwesen auch theoretisch mit dem Staat und seinen, gelinde gesagt, einseitigen Eingriffen zu verquicken. Damit hört denn jede Möglichkeit von Kritik und unabhängiger Haltung auf. Sullas Gesetz, das das alt- römische Verbot des Legierens der zirkulierenden Metalle neuerlich ein- schärfte, war ein Staatsakt; Staatsakte waren aber auch die neronia- nischen Frivolitäten, welche die Aera der Münzverschlechterungen ein- leiteten. Jenes bezweckte Schutz vor Betrügereien, letztere zielten auf be-
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trügerische Uebervorteilungen ab. Man sieht, die staatlichen Einwirkun- gen auf das Geldwesen müssen selbst nach Rechtsrücksichten geprüft werden und alle unterschiedslos als „staatliche Rechtsordnung‘ hyposta- sieren, also Staat und Recht einfach gleichsetzen, heißt vor der zufälligen und gedankenlosen Gewalt kapitulieren, auf Theorie, Kritik und absolute Wahrheit zugunsten übertätiger Tatsächlichkeiten verzichten. Das große chinesische Beispiel kann zur Befreiung von solcher Bornierung ver- helfen. Der Ursprung des Geldes ist weder in einer willkürlichen Ueber- einkunft, die auch anders hätte ausfallen können, noch in einer obrig- keitlichen Verfügung zu suchen. Die Rolle der Metalle und insbesondere der edlen Metalle in der menschlichen Wirtschaft ist über dem Be- lieben der Menschen erhaben und beruht, wie ihre physikalischen und chemischen Eigenschaften, ihre Verwendbarkeit und ihre Seltenheit. auf Naturtatsachen, die vom Menschen unabhängig sind und daher ein naturgesetzliches Fundament alles Weiteren bilden. Der Staat ist erst dazu gekommen, als die Hauptsache schon ohne ihn unter den Menschen aus deren freier Initiative durchgesetzt war. Nicht Prägung oder Bezeichnung sind das Wesentliche, sondern der Stoff und dessen Eigenschaften, vermöge deren er allgemein angenommen wird und die Garantie bietet, überall zu gelten, also über die zufälligen Staats- grenzen hinaus und ohne alle staatliche Einmischung seine Funktion als Wertträger und Wertübertrager zu versehen. Ausmünzung, Prä- gung, Stempelung, Gewichtsangabe — das sind Dinge, womit sich die Oeffentlichkeit und der Staat befassen mögen, die aber Nebensachen sind. — Bezüglich des Näheren zu dieser weittragenden, konsequenzen- reichen und uralte Irrtümer beseitigenden antikonventionalistischen Auf- fassung des Geldes sei auf die Werke Eugen Dührings selbst ver- wiesen, dessen tiefschürfendem Scharfsinn sie zu verdanken ist. Er hat seine Theorie schon 1866, in der „Kritischen Grundlegung der Volkswirtschaftslehre‘‘, vertreten und dann ausführlich im ‚„Kursus der National- und Sozialökonomie‘“ dargelegt, und seither noch wichtige politische und soziale Folgerungen aus ihr gezogen (z. B. in „Waffen, Kapital, Arbeit“ 1906).
Unsero Skizze wäre nicht vollständig, wenn wir nicht auch des chinesischen Papiergeldes Erwähnung täten. Auch darin hat China die üblichen Erfindungen und Erfahrungen lange vor den europäischen Staaten gemacht, denn schon vor 1000 Jahren setzte die Regierung dort Depotscheine über Bargeld in Umlauf, und bis ins 15. Jahrhundert unserer Zeitrechnung hat es an verschiedenen Emissionen von Staats- noten und an den zugehörigen nur allzu obligaten üblen Folgen, an Zwangskurs, Uneinlöslichkeit, Entwertung usw. nicht gefehlt. Nach den chinesischen Ueberlieferungen wurde nun die Einführung des Silbers und seine Einbürgerung im Verkehr allgemein als eine Er- lösung von dem Uebel der unsicheren und fragwürdigen staatlichen Zirkulationsmittel empfunden. Jedermann suchte das Metall zu er- langen, in dem sich Ersparnisse und Werte sicher anlegen ließen, das seine Kaufkraft unabhängig von zweifelhaften Bezeichnungen oder staatlichen Willkürakten in sich trug, und dessen Beschaffung nicht
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von dem Belieben und der Einsicht der staatlichen Verwaltung abhing. Die Silberrechnung hat nicht allein den Verkehr vom schlechten Kupfer- geld emanzipiert und das Fundament einer modernen Entwicklung geliefert, sondern auch das seit Jahrhunderten umlaufende und infolge der Zahlungsunfähigkeit des Staates entwertete Papiergeld verdrängt, so daß es schließlich verschwand.
Erst das 19. Jahrhundert hat in China Kreditbillette des Staates wieder entstehen sehen. Insbesondere hat die jüngste revolutionäre Be- wegung gegen die Mändschu-Monarchie dazu Anlaß gegeben, daß sich verschiedene der neuen Provinzialregierungen finanzielle Mittel durch Ausgabe von Noten beschafften. Es ist für China charakte- ristisch, daß diese Zettel trotz Erfolgs der politischen Bewegung und trotz Konsolidierung der Republik nur mit erheblichem Disagio in Kurs sind, sowie sie von vornherein nicht zum Nennwert in Zirkulation gebracht werden konnten. Die Regierungen haben sich zu Kompromissen mit den Bankiers herbeilassen müssen, um ihre Zettel überhaupt in einigen Maße emittieren zu können; man einigte sich fallweise auf Prozentsätze, zu denen Papier zugleich mit Metall in Zahlung anzu- nehmen war. Trotzdem unterlagen die Zettel seither weiterem Kurs- fall, und die Androhung hoher Strafen, ja selbst der Todesstrafe, haben 30- und 40-proz. Disagio nicht hindern können. Diese Noten bilden also neuestens eine Art dritter Currency, wobei von den diversen in Teilen Chinas umlaufenden Banknoten (insbesondere der fremden Bankniederlassungen) abgesehen wird. Die chinesische Regierung hat verschiedentlich schon versucht, die Annahme des revolutionären Papier- gelder au ihren Kassen, als für sie mit Verlust verbunden, abzulehnen ; doch erregte dies, übrigens mit Recht, solche Entrüstung, und die Erschütterung des Geldmarktes war so empfindlich, daß die Regierung zurückweichen mußte. Die schließliche Einlösung der Noten wird sich schon mit Rücksicht auf die Staatsfinanzen, deren Eingänge durch den Einlauf der Noten beeinträchtigt sind, nicht umgehen lassen.
II.
In China bedeutet der Staat wenig, die Tradition, die uralte Gewohnheit alles. Ungeschriebene Gesetze, in den allgemeinen Geist übergegangene Satzungen der Sitte regieren die Gesellschaft. Die Zahl der bewaffneten Organe, die den Frieden aufrechtzuerhalten und den rechtlichen Verkehr zu schützen haben, ist im Vergleich zu der Bevölkerungszahl verschwindend. Man erwartet von der öffentlichen Gehalt wenig; man ist gewohnt, von ihr, wo sie sich regt, mehr be- hindert als gefördert zu werden. Das berüchtigte chinesische Be- stechungssystem ist die Art, wie sich die wirtschaftende Gesellschaft mit den unzulänglichen Öffentlichen Apparat abfindet. Der Sturz des Mandschu-Regimes erfolgte, weil es sich als unfähig erwies, auch nur das Minimum seiner Funktionen, nämlich die Erhaltung der nationalen Einheit und Autonomie, zu erfüllen. Das neue Gouvernement hat hier seine wichtigste Aufgabe; aber in der inneren Verwaltung wird sich schwerlich viel ändern. Das vormundschaftlich-bureaukratische Regieren
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und Verwalten hat in China nach wie vor geringe Chancen. Eine Staatsleitung, die dies verkennt und ihre Autorität überschätzt, wird, wie die verflossene Monarchie, die Gesetzzammlung mit Edikten be- reichern, um die sich praktisch niemand kümmert.
Wenn man daher bei der Frage nach möglichen Reformen des Geldwesens vom bestehenden Silbergebrauch ausgeht und als ersten Hauptsatz dessen Beibehaltung und Ausgestaltung aufstellt, so ist das bloß eine fast selbstverständliche Folgerung aus dem Vor- stehenden. Keine Macht ist imstande, den Jahrhunderte alten Silber- umlauf willkürlich durch etwas anderes zu ersetzen. Deshalb sind Er- örterungen über die Einführung einer Goldwährung oder dergleichen durchaus zwecklos. Ein von oben ausgehender Systemwechsel ist in China einfach unmöglich, und nicht etwa bloß inopportun, weil es etwa für die Geldverfassungen Europas usw. gefährlich wäre, auch das ungeheuere China zum Goldgebrauch übergehen zu lassen.
Ea ist also ein arges Uebersehen der wesentlichen Eigentümlich- keiten Chinas, wenn europäische Ratgeber den Chinesen dieses oder jenes Geldsystem statt der Silberwährung empfehlen. Eine chinesische Regierung. die sich unterfangen wollte, von oben her ein nach euro- päisch-amerikanischem Muster kopiertes System oktroyieren zu wollen, würde nichts erreichen, als die heutige Mannigfaltigkeit der chine- sischeu Umlaufsmittel zu vermehren.
Man muß das Silber, sowie esin Umlauf ist, zum Aus- gangspunkt nehmen und darf sich lediglich fragen, was an den heutigen Zuständen verbesserungsfähig ist, und was staatsseitig zur Verbesserung mit Aussicht auf Erfolg geschehen kann.
Freilich hat der Silbergebrauch Nachteile, indem nämlich beim Verkehr mit den nach Gold rechnenden Völkern die Schwankungen des Silberpreises Unbequemlichkeiten verursachen. Es gibt rationelle Mittel, diese zu reduzieren oder unschädlich zu machen. Ganz emanzi- pieren kann sich das Silberland davon nicht. Am allerwenigsten ist eine chinesischo Regierung imstande, die Wertschwankungen des Silbers zu eliminieren. Es war ein Hauptfehler der früheren Währungsrat- geber der chinesischen Regierung, insbesondere des amerikanischen Professors Jeremiah Jenks und des holländischen Bankpräsidenten Dr. G. Vissering!), die Stabilisierung des